Das Urteil in Köln zeigt, dass das Gericht die katholische Kirche in der Haftung sieht. Damit sind die Betroffenen nicht mehr der kirchlichen Willkür ausgeliefert. Sie können das eigene Martyrium von einem weltlichen Gericht bewerten lassen. Wir erinnern uns: Dem Kölner Kläger waren im kirchlichen Anerkennungsverfahren 25000 Euro zugesprochen worden. Das Kölner Landgericht hingegen hält das 12-Fache dessen für angemessen. Auch das macht mir als Betroffenem Mut!
Das Urteil ist besonders, weil das beklagte Erzbistum sich im Verfahren nahezu stumm gezeigt hat. Es verzichtete auf die Einrede der Verjährung und erkannte die Taten ohne weitere Beweisaufnahme an. Warum lässt eines der bedeutendsten Erzbistümer in der Weltkirche ein solches Verfahren so über sich ergehen? Ist das ein Einzelfall, werden andere Betroffene, die gegen ein Bistum klagen, ebenfalls „nur“ über die Summe und nicht über das ob streiten müssen? Oder sehen sie sich der zähen Prozesswirklichkeit ausgesetzt, in der sowohl die Einrede der Verjährung wie auch eine ebenso zermürbende wie psychisch exorbitant belastende Beweisaufnahme erfolgreich zu meistern sind, bevor über Beträge verhandelt werden kann? Der erste Verhandlungstag im Traunsteiner Schadensersatzprozess gegen das Erzbistum München und Freising nährt solche Befürchtungen. Und man bedenke: Im Regelfall reicht die Aktenlage kirchlicher Missbrauchsfälle für eine gerichtsfeste und damit erfolgreiche Beweisführung nicht aus, anders als im aktuell verhandelten Fall in Köln.
Und das Urteil ist auch deshalb besonders: Für das Gericht ist eine klassische Lebensführung, in der es dem Opfer vergönnt war, eine Familie zu gründen und einer Erwerbsarbeit nachzugehen, Grund genug, die Schadensersatzsumme zu senken. Die Höllenqualen, die ein Opfer als Kind und Jugendlicher durchlitten hat, die auch heute noch immer spürbar sind – all das wird damit relativiert, selbst wenn trotz aller Grausamkeiten noch ein einigermaßen gut gestaltetes Leben nach dem Missbrauch möglich ist und das Leben nicht in Erwerbslosigkeit, psychischen Krankheitsbildern oder gar im Suizid endet.
Wie lautet also das Fazit, nachdem das Kölner Landgericht mit seinem Urteil den Kirchen sowohl die Verantwortung, sprich Haftung, wie auch eine klare und eindeutige Referenzgröße für Schadensersatz tief ins Stammbuch geschrieben hat, die Betroffenen aber gleichzeitig vor einem unsicheren, mit tiefen juristischen Schlaglöchern versehenen Klageweg stehen lässt? Es ist an der Zeit, dass die deutschen Bischöfe ihr Anerkennungssystem an der nun gerichtlich fixierten Bezugsgröße ausrichten. Es ist an der Zeit, dass die Bischöfe die Betroffenen vor unkalkulierbaren Prozess- und Retraumatisierungsrisiken bewahren. Es ist an der Zeit, dass die Bischöfe den Klageweg durch ihre Haltung unnötig machen. Denn das ist ihre verdammte Pflicht.
Bischöfe waren es, die über Jahrzehnte durch Vertuschung unzählige Taten erst möglich machten, die eine zeitnahe Strafverfolgung und Opferfürsorge vorsätzlich verhindert haben. Es ist an der Zeit, dass sie das nicht nur ins Wort fassen, sondern zum Wohle der Betroffenen handeln – endlich!