Die evangelische Kirche steigt bei der „Woche für das Leben“ aus. Jetzt braucht es schnell eine Alternative, denn das gemeinsame christliche Zeugnis für den Lebensschutz tut not.
In meiner Gemeinde in Freiburg „wohnen“ Katholische und Evangelische unter einem Dach, in einem ökumenischen Kirchenzentrum. Das ist eine Bereicherung, und es prägt den Alltag. Für uns ist Ökumene nicht etwas, das irgendwann an Thementagen dazukommt. Wir leben Ökumene 3.0, mindestens. Nur ein Beispiel: Bei gemeinsamen Anlässen müssen wir unser Miteinander nicht mehr dadurch dokumentieren, dass beide Konfessionen paritätisch, also zahlenmäßig gleich vertreten sind. Inzwischen ist klar: Wer da spricht, spricht für uns alle.
Um eine solche „arbeitsteilige Ökumene“ geht es leider gerade nicht, wenn die evangelische Kirche sich nun aus der „Woche für das Leben“ zurückzieht. Das ist alles andere als eine Kleinigkeit. Vielmehr beerdigt hier ein Partner im Alleingang und leichthin eine der traditionsreichsten ökumenischen Unternehmungen. Die „Woche für das Leben“ gibt es seit 30 Jahren. Nach der nächsten Auflage in der kommenden Osterzeit ist es damit vorbei. Selbst wenn die katholische Kirche weiter an der Woche festhalten würde: Es wird nicht mehr dasselbe sein.
Der Vorgang ist in mehrfacher Hinsicht traurig. Beschädigt ist zunächst die evangelische Kirche selbst, über die sich aktuell kübelweise Häme ergießt. Wie „konsequent“ sei doch dieser Ausstieg, ätzen einige. Schließlich seien die protestantischen Positionen zur Ethik längst so weichgespült, dass sie mit Lebensschutz nichts mehr zu tun hätten. Wie ungerecht!
Auch für die katholische Kirche ergibt sich eine unangenehme Lage: Sie muss erklären, warum sie (bisher) noch an der Initiative festhält – wo doch der evangelische Partner offensichtlich „gute Gründe“ für seinen Rückzug hat: dass die Aktionswoche tatsächlich immer weniger öffentlich wahrgenommen wurde, dass sie oft nur den Charakter einer Pflichtveranstaltung hatte, dass inhaltlich bisweilen nur noch der kleinste gemeinsame Nenner gefunden wurde... Außerdem muss die katholische Seite aufpassen, dass jetzt nicht noch stärker solche Kreise in das entstehende Vakuum drängen, mit denen man besser keine gemeinsame Sache macht, selbst beim Lebensschutz nicht.
Was das Ganze über den Zustand der Ökumene verrät, ist ebenfalls bedenklich. Dass sich katholische Verantwortliche „überrascht“ vom evangelischen Rückzug zeigen, dass der Ausstieg also anscheinend ohne Rücksprache und Diskussion erfolgte, offenbart, wie viel im Argen liegt. Sind die jeweiligen Kirchen zu sehr mit sich beschäftigt, um die Glaubensgeschwister im Blick zu haben?
Vor allem aber schwächt der Rückzug das Anliegen des Lebensschutzes. Dabei stehen gerade etliche politische Weichenstellungen an, wie etwa in der abgelaufenen Woche die Bundestagsentscheidung zur Suizidbeihilfe. Was ist das für ein Bild, wenn die Kirchen sich bei existenziellen Themen nicht zusammenraufen und gemeinsam für das Leben in all seinen Phasen eintreten können? Zur Erinnerung: Christen sind in Deutschland auf dem Weg in die Minderheit. Um gehört zu werden, müssen sie mit einer Stimme sprechen.
Ja, die Initiative mag in die Jahre gekommen sein. Aber auszusteigen, ohne eine ökumenische Alternative zu haben, wirkt wenig durchdacht. Jetzt gilt es, gemeinsam und schnell etwas Neues zu entwickeln, bestenfalls unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK). Diesen Zeitdruck hätte man sich sparen können.