Bei Paragraf 218 verdichten sich die Anzeichen für Veränderung. Eine Kommission wird eingesetzt, die für die Bundesregierung die Lage sondieren soll. Zugleich nimmt die Frequenz der Anfragen an die katholische Position zu. Es braucht keinen Blick in die Glaskugel, um zu erkennen, dass uns rund um das Thema Schwangerschaftsabbruch ähnlich stürmische Zeiten bevorstehen wie in den USA und Polen.
Mit meiner Tochter habe ich mir am Wochenende die zwei Biopics zu Alice Schwarzer angesehen, die zum 80. Geburtstag der berühmten Frauenrechtlerin noch einmal ihre Anliegen zeichnen. Da kann ich in vielem mitgehen. Ich bin für die Gleichberechtigung der Frau, klar! Aber in Fragen des Paragrafen 218 ist das anders. Denn hier treffen sich sehr viele unterschiedliche Konflikte, vor allem der zwischen Mutter (und auch Vater) und dem Leben im Werden.
Gerade wird der Paragraf vor allem hinsichtlich der Selbstbestimmung der Frau diskutiert. Ich kann diese Debatte aber nicht ohne den Bezug zum Schutz des Lebens im Werden (das Recht auf Leben) führen. Ich bin da völlig in den Fußstapfen meines verstorbenen Kollegen Eberhard Schockenhoff, der von einer advokatorischen Ethik spricht. Wie können wir die Stimme des Lebens im Werden hörbar machen? Wie kann in der Konfliktberatung auch das Leben im Werden mit am Tisch sitzen? Wie kann alles dafür getan werden, dem Lebensrecht Ausdruck zu verleihen?
Oft begegnet mir dann die Aussage, das sei doch im Wesentlichen eine individuelle Entscheidung der Frau. Ja, aber das ist ja gerade die Quadratur des Kreises, dass von dieser Entscheidung auch ganz existenziell ein Menschenleben betroffen ist wie auch die Frage der Selbstbestimmung der Frau. Zudem wird diese Entscheidung aus sehr unterschiedlichen Lagen heraus getroffen. Die kriminologische Indikation sei nur kurz erwähnt. Und bei allem individuellen Hintergrund sind es oft sozialethische Gründe (zum Beispiel die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf), die angeführt werden. Also ist es doch eine sozial formatierte individuelle Entscheidung.
Ganz grundsätzlich gibt es Grenzen, wie in allen Fragen der Selbstbestimmung, zumindest in meinem Verständnis. In der Corona-Pandemie war das der Schutz des Anderen, im Schwangerschaftskonflikt ist es das Lebensrecht.
Wenn ich als Katholikin höre, dass Papst Franziskus einen Schwangerschaftsabbruch als Auftragsmord bezeichnet, wird diese Aussage freilich auch in meinen Augen den möglichen Notlagen der Frauen und Männer nicht gerecht. Bei einem Schwangerschaftsabbruch sind mindestens immer zwei Parteien unwiederbringlich miteinander verbunden: die Zweiheit in Einheit.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993 hat dem Gesetzgeber die Einrichtung der Pflichtberatung aufgegeben. Das wird heute nicht selten als paternalistisch angesehen, als Kennzeichen eines negativen Frauenbildes. Doch das trifft nicht die Wirklichkeit. Es geht um Optionseröffnung und darum, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Entscheidungen unter Berücksichtigung des staatlichen Auftrags für den Lebensschutz getroffen werden.
Mir scheint es wichtig, sich angesichts der kommenden Konflikte noch einmal des Paragrafen 218 zu vergewissern. Wobei auch an dieser Regelung ja nicht alles gut ist: Eigentlich sollte durch die Gesetzesreform Anfang der 1990er Jahre die embryopathische Indikation abgeschafft werden, also die Möglichkeit der Abtreibung bei der Diagnose einer schweren Erkrankung des Embryos. Doch durch die Hintertür, nämlich durch die medizinische Indikation, wird der psychischen und physischen Verfassung der Frau größeres Gewicht gegeben. Damit aber findet eine verdeckte Diskriminierung des Lebens mit Behinderung statt. Denn es wird vorausgesetzt, dass bei einer Behinderung des Kindes automatisch eine psychische Gefährdung der Mutter vorliege. Diesen Aspekt verlieren wir in der Debatte oft aus dem Blick.
Durch die Verankerung im Strafgesetzbuch wird deutlich, dass es sich beim Schwangerschaftsabbruch um keine normale ärztliche Leistung handelt. In meinen Augen ist das gerechtfertigt, da er eine Tötungshandlung darstellt. Deswegen wird er in der Regel auch nicht von den Krankenkassen übernommen. Insgesamt sollten ökonomische Gründe keine Rolle spielen. Der Grundduktus des Paragrafen 218 – rechtswidrig, aber straffrei – sollte weiterhin die mögliche Konfliktlinie zwischen Mutter (und auch Vater) und Leben im Werden zum Ausdruck bringen.