StaatsleistungenDer Preis der Glaubwürdigkeit

Seit Jahrzehnten sind die Staatsleistungen an die Kirchen ein Streitpunkt. Ginge das auch anders? Der Priester Thomas Frings wagt ein Gedankenexperiment.

Die massiven Austritte aus den Kirchen bringen diese in absehbarer Zeit in Situationen, in denen spürbare finanzielle Einschnitte nicht mehr allein aus Rücklagen aufzufangen sind. In diesem Zusammenhang tauchen auch immer wieder die jährlichen Staatsleistungen auf. Sie sollen Vermögenseinbußen durch die Säkularisation kompensieren und umfassten zuletzt 602 Millionen Euro jährlich. Je nach Bundesland gehen unterschiedlich hohe Beträge an die katholische und die evangelischen Kirchen, aber auch an jüdische Gemeinden, Muslime und selbst an konfessionsfreie Gruppen. Für eine einmalige Ablösung der Zahlungen, über die seit Jahrzehnten diskutiert wird, kursieren die unterschiedlichsten Berechnungsmodelle. Am Ende handelt es sich wohl um eine Summe irgendwo zwischen 6 und 16 Milliarden Euro.

Man stelle sich einmal vor, die Kirchen würden mit dem Staat nicht um die letzte Milliarde verhandeln, sondern sich vorab bereiterklären, die gesamte Summe in eine Stiftung für bedürftige Familien, Alleinerziehende und Menschen im Alter einzubringen. Es könnte ein überraschendes Zeichen von Großzügigkeit sein in eine Gesellschaft hinein, in der beide Kirchen selbst in ökumenischer Verbundenheit inzwischen in der Minderheit sind und um ihre Glaubwürdigkeit ringen. Sie verzichten auf etwas, das ihnen von Rechts wegen zusteht, und machen daraus eine der finanzstärksten Stiftungen der Bundesrepublik. Um jeglichem Verdacht vorzubeugen, dass das Geld doch in irgendeiner Form bei ihnen bleibt, überlassen sie anderen Gruppen, Verbänden und Vereinen die Vorstandsmehrheit.

Allein die lang anhaltende Diskussion um dieses Geld schadet den Institutionen, wohl wissend, dass mit dem Geld schon jetzt viel Gutes getan wird. Wer sich einmal etwas näher mit dem finanziellen Zusammenspiel zwischen Staat und Kirche in Deutschland beschäftigt hat, der wird bald erkennen, wie viele Vorteile beide Beteiligte und die Gesellschaft davon haben. Es ist zu befürchten, dass nicht nur die Mehrheit der Gesellschaft, sondern sogar auch viele Mitglieder der Kirchen erst merken, welchen Gewinn sie durch den professionellen und ehrenamtlichen Einsatz vieler Menschen an den unterschiedlichsten Stellen hatten, wenn es diese nicht mehr geben wird. Die staatliche Institutionen und die Kirchen sind an der Stelle aber auch in einer Bringschuld, dies der Allgemeinheit verständlich zu erklären. Nichtsdestotrotz wäre die Gründung einer Stiftung ein deutliches Signal.

Ein anderer Vorgang sollte zu denken geben: Vor einem Jahr gingen in der ARD 125 queere kirchliche Mitarbeiter an die Öffentlichkeit und outeten sich. Dabei riskierten viele von ihnen arbeitsrechtliche Konsequenzen. In den Tagen nach der Sendung äußerten sich zahlreiche Bischöfe zustimmend zu dem Beitrag und den darin aufgestellten Forderungen. So begrüßenswert diese nachträglichen Zustimmungen sind, glaubwürdiger wären sie gewesen, wenn sie einen Tag vor Aussendung des Beitrags gemacht worden wären. Denn jetzt konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass nur begrüßt wird, was sich nicht mehr verhindern lässt. Die Glaubwürdigkeit einer Rede oder einer Handlung ist auch an den Moment gebunden, in dem sie gemacht wird. Die so notwendige Glaubwürdigkeit bekommt man nicht umsonst. Man muss sie sich verdienen.

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