BuchbesprechungLauter Lärm

Der Journalist Kai-Ove Kess erzählt die Geschichte der geballten Geräuschkulisse. Sein Buch ist ein literarischer Ohrenschmaus.

Lärm nervt. Seit Menschengedenken und länger gibt es ihn. „Lärm war immer da, und er war nie gleich. Bestimmte Formen des Lärms kamen und gingen, lösten sich ab, steigerten sich ins Ohrenbetäubende und flauten wieder ab. Früher war es nicht unbedingt leiser. Der Lärm war nur anders“, resümiert Kai-Ove Kessler. Leichtfüßig und nüchtern erzählt der Journalist, Historiker und Musiker in acht Kapiteln die Geschichte der durchdringenden Geräusche quer durch Jahrtausende und Jahrhunderte.

Bevor die Maschinen lärmten und die Motoren dröhnten, prasselten etwa die brennenden Dörfer des Dreißigjährigen Kriegs. Dem Alten Testament zufolge ging Babylon in apokalyptischem Getöse unter. Sowieso sorgte die Natur für Lautstärke.

Als Lärm der Götter verstanden die Menschen Gewitterdonner weit bis ins Mittelalter. Damals waren dröhnende Glocken, klingende Orgeln und singende Prozessionen die Schlüssellaute. Die Kirchenglocken riefen die Gläubigen nicht nur zum Gottesdienst: „Kein Mensch konnte und durfte sie überhören – die Glocke als Klangsymbol der Macht Gottes und seiner Stellvertreter auf Erden.“ Akteure von Kirche und Religion allgemein haben die Geschichte des Lärms als Chronisten festgehalten, beeinflusst und geprägt. Martin Luthers deutsche Übersetzung der Bibel hallte durch Städte und Dörfer. Den Reformator selbst plagte wiederum ein Ohrenleiden („Sausen und Klingen in den Ohren“) infolge von Tinitus und Hörsturz. Vielen großen Dichtern und Denkern waren Krach und Lärm überhaupt ein Gräuel — gerade in der Nachbarschaft. Sie mutierten zu regelrechten „Nervenbündeln“, wie der Autor sie nennt. Dies macht er an kuriosen Beispielen fest: Dichterfürst Goethe nervte die Kegelbahn einer Gaststätte, und dem Philosophen Immanuel Kant machte ein krähender Hahn so zu schaffen, dass er ihn schließlich in den Kochtopf verbannte. Musikgenie Mozart hingegen ließ sich von den tobenden Kindern vor dem Haus bei seinem kompositorischen Schaffen nicht beirren.

Ein geradezu literarischer Ohrenschmaus ist Kai-Ove Kessler gelungen. Der Redakteur des Norddeutschen Rundfunks fasst in Worte, wofür es eigentlich nur Töne gibt: „Die Historie des Lärms zu untersuchen, beinhaltet ein Problem. Geräusche und Klänge sind flüchtig und im Moment ihres Verklingens verloren.“ Ach würde er nur verklingen – der Lärm. Das kommt einem spätestens beim Aufrufen der zahlreichen abgedruckten QR-Codes in den Sinn, mit denen man akustische Geschmacksproben ansteuern kann. Die Welt ist und war laut!

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Kessler, Kai-Ove

Die Welt ist lautEine Geschichte des Lärms

Rowohlt Verlag, Hamburg 2023, 432 Seiten, 26 €

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