Eigentlich wäre die Sache kaum eine Meldung wert: Bei einer routinemäßigen IT-Überprüfung wurden auf einer Reihe von Dienstrechnern mehrere Hundert Zugriffsversuche auf Pornoseiten im Internet festgestellt. Solche Entdeckungen dürften bei Arbeitgebern weltweit keine Seltenheit sein. Während der Arbeitszeit pornografische Inhalte zu konsumieren, noch dazu auf dem firmeneigenen Computer, gehört sicher nicht zu den klügsten Ideen. Das Verhalten würde vermutlich ein unangenehmes Gespräch mit der Chefin nach sich ziehen oder allenfalls eine Abmahnung – strafbar ist es nicht. Vorausgesetzt, das Material selbst verstößt nicht gegen geltendes Recht.
Pikant wird die Geschichte deshalb, weil der Dienstherr in diesem konkreten Fall das Erzbistum Köln war: Medien berichteten Ende vergangener Woche von einer bistumsinternen Liste, auf der sich auch „höchstrangige Kleriker“ befinden sollen. Auf diesem Weg kamen die Zugriffsversuche an die Öffentlichkeit, der Skandal war perfekt: Ist die eifrige Moralapostelin Kirche etwa gar nicht so rein, wie sie selbst vorgibt? Ihr erhobener Zeigefinger wurde ihr von den Tatsachen harsch auf die eigene Nase gedrückt – und das ausgerechnet im besonders sittenstrengen Bistum Köln.
Nun kann man einwenden, dass erst die mediale Berichterstattung aus einer Mücke einen Elefanten gemacht habe. Pornografie und ihr Konsum werden im Katechismus zwar als Sünde gewertet, strafbar sind sie aber auch nach dem Kirchenrecht nicht. Wollten also weltliche Medien bloß Schmutzwäsche gegen den ohnehin angeschlagenen Kardinal Woelki waschen?
Zu weit ging ohne Zweifel die „Berichterstattung“ der BILD-Zeitung, die noch am Tag des Bekanntwerdens eine der betreffenden Personen mit Vollname und Bild veröffentlichte. Solche persönlichen Bloßstellungen sind mit verantwortungsvoller Pressearbeit nicht zu vereinbaren. Jenseits dieser Entgleisung hat die Öffentlichkeit jedoch ein berechtigtes Interesse an dem Vorfall – und die Medienwelt somit die Pflicht, darüber zu berichten. Das hat nichts mit Häme oder Religionsschelte zu tun, sondern bemisst die Kirche schlicht an ihren eigenen Maßstäben. Dass die Heilsanstalt erneut mit unheiligen „Schmuddel-Themen“ in die Schlagzeilen gerät, ist die späte Retourkutsche dafür, über Jahrhunderte einen Gott gepredigt zu haben, der angeblich lieber in die Schlafzimmer als in die Herzen der Menschen blickt. Die Kirche hat sich heillos im Netz der eigenen Ansprüche verheddert – die moralische Fallhöhe ist enorm, der öffentliche Ansehensverlust fast schon routiniert.
Statt die peinlichen Enthüllungen jedoch als Anlass zu einem Umdenken in der Verhältnisbestimmung von Ideal und Wirklichkeit zu nutzen, äußerte Kardinal Woelki lediglich seine Enttäuschung über den Fall und schärfte sogleich nach, wie verwerflich Pornografie doch sei. Damit verspielt er die Chance, tatsächlich Relevantes zur gesellschaftlich längst virulenten Debatte um menschenachtende Standards in der Pornoindustrie beizutragen.
Pornografie, bei der alle Beteiligten auf Augenhöhe agieren und die verantwortungsvoll konsumiert wird, kann etwas Gutes sein. Solchen würdigenden Zugängen widmet sich längst auch die deutsche Moraltheologie. Solang die Kirche insgesamt jedoch kein positives Verhältnis zur Sexualität entwickelt, wird ihr die eigene Doppelmoral immer wieder auf die Füße fallen.