Die Oktavtage gehören zu den vergessenen Schätzen des Kirchenjahres. Gerade in Krisenzeiten wie den unsrigen kann das Heben eines solchen Schatzes Balsam für manch verwundetes Herz sein. Die Oktav ist gewissermaßen das Pendant zur Novene, mit der man sich auf ein entscheidendes Ereignis oder Fest vorbereitet. Wer in diesen vorgeschalteten neun Tagen innere Einkehr hält, weilt sozusagen schon im Geiste bei den Menschen, mit denen er den Festtag begehen wird. Die Oktav dagegen lässt ein Fest nachklingen.
Oktav (von lateinisch octavus‚ „der Achte“) bezeichnet in katholischer Tradition einerseits den achten Tag (Oktavtag) nach einem Fest, andererseits die achttägige Festwoche (Oktav) selbst. Im Sinne der inklusiven Zählung meint dies übrigens stets einen Zeitraum von einer Woche einschließlich des darauf folgenden achten Tags. Der Oktavtag fällt also immer auf denselben Wochentag wie das Hochfest.
Auch in der Musik findet man diese inklusive Zählung, wenn zum Beispiel musikalische Intervalle bezeichnet werden sollen: Bei der Oktave beträgt der Zwischenraum nach moderner Zählung sieben Töne, doch der griechische Wortstamm weist auf acht hin.
In Zeiten wiederentdeckter Schöpfungsverantwortung („Fridays for future“) lohnt es sich auch, den achten Tag der Schöpfung zu beherzigen: Manche Ikonen der Ostkirchen zeigen den siebten Schöpfungstag als den Tag, an welchem der Schöpfer seine Wohnung in seiner wunderschön geschaffenen Welt bezieht und wie in einer Krippe selig schlummert. Wir sind aufgerufen, im Sinne der creatio continua am achten Schöpfungstag, der nie vergeht, sondern immer heute ist, Gottes verwundete Schöpfung zu bewahren und die aufgerissenen Wunden zu verbinden.
Seit dem 13. Jahrhundert wurden alle größeren Feste durch eine eigene Oktav gekrönt. Die 1969 in Kraft getretene neue Grundordnung des Kirchenjahrs, mit der die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils umgesetzt wurde, kennt dagegen nur noch zwei Oktaven, nämlich die Oster- und die Weihnachtsoktav. Allenfalls in der Volksfrömmigkeit werden zuweilen örtliche Festwochen zu Heiligen- und Patronatsfesten auch weiterhin als „Oktav“ bezeichnet, etwa die „Anna-Oktav“ mit einer bunten Annakirmes in Düren oder die Muttergottesoktav in Luxemburg.
Doch auch wenn die seit dem Hochmittelalter üblichen Oktavtage nach Heiligenfesten offiziell verschwunden sind: Auf den zweiten Blick lassen sich „Oktavtage“ entdecken – und geistliche Impulse daraus ableiten. Wer diesen Exerzitienweg mitgeht, darf neu spüren, was das von Jesus verheißene Leben in Fülle bedeutet. Dies betrifft vor allem auch die Marienfeste in diesen Sommer- und Spätsommermonaten, die das katholische „Sommerloch“ zwischen Fronleichnam bis Allerheiligen füllen.
Den marianischen Reigen eröffnet am 15. August das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel, gefolgt von seinem „Oktavtag“ Maria Königin (22. August). Den Reigen beschließen die drei Feste der Geburt (8. September) und – gewissermaßen in der folgenden „Oktav“ – Mariä Namen (12. September) und Mariä Schmerzen (15. September). Erinnert sei hier auch an den wunderschönen Begriff des „Frauendreißigers“, der exakt die Zeit zwischen den Festen Mariä Himmelfahrt am 15. August und Maria Schmerzen am 15. September bezeichnet. Es ist somit ein Marienmonat in der Sommerzeit, aufbauend auf dem persönlichen Osterfest Mariens.
In der inoffiziellen Oktav von Mariä Geburt steht zunächst am 12. September das Namensfest Mariens im Kalender. Der Ursprung dieses Tages ist ziemlich profan: Denn am 12. September 1683 hatten die vereinigten christlichen Heere die zweite Belagerung der Stadt Wien durch den osmanischen Sultan siegreich beendet. In der Stunde der Gefahr war den Soldaten das Banner mit der Darstellung Mariens als „Schutzmantelmadonna“ vorangetragen worden. Maria, Hilfe der Christen, Retterin in der Not – so wird Maria bis heute angerufen.
Maria, Miriam, diesen Namen haben die Eltern – der Legende nach Joachim und Anna – ihrem Kind gegeben. Am Fest Mariä Namen kann ich meinen eigenen Namen, auf den ich getauft worden bin, meditieren.
In der Taufe und Namensgebung bekam ich die Zusage: „Dein Name ist in Gottes Hand eingeschrieben.“ Aus diesem Grunde heißt die israelische Gedenkstätte der ermordeten Juden „Yad Vashem“. Das bedeutet wörtlich: „Hand und Name“, also „Namensmal“. Alle Namen sind unauslöschlich und von Ewigkeit her in Gottes Hand eingeschrieben. Weil der himmlische Vater uns „verlorene, bettelarme Söhne und Töchter“ von Ewigkeit her unendlich vorleistungsfrei liebt und unermüdlich Ausschau nach uns hält, dürfen wir uns täglich neu in seine Arme fallen und von den wundgeliebten Händen umarmen lassen, in deren Handflächen auch unser Namensmal eingebrannt ist.
Am Oktavtag selbst, dem 15. September, stehe ich mit Maria unter dem Kreuz. „Warum?“, schreie ich gen Himmel. Die Frage nach dem Leiden hat hier ihren Platz. Wie viele Menschen verlieren ihren Glauben, weil sie nicht verstehen können, weshalb ein Gott der Liebe uns leiden lässt. Maria gibt uns die Antwort als Pietà: Sie trägt den Gekreuzigten auf ihrem Schoß. So stellt die Frage nach dem „Warum“ nicht länger Gott infrage, sondern wir stellen mit Maria diese Frage des Leidens an Gott – und Gott schenkt uns seinen Sohn, der mit uns leidet und unser Trost wird. Maria, die Mutter voller Schmerzen, der altehrwürdige Gesang des Stabat Mater (Christi Mutter stand mit Schmerzen), wird ausdrücklich als Sequenz empfohlen. Viele künstlerische Darstellungen und Denkmäler zeigen die Schmerzensmutter, weltberühmt etwa Michelangelos Pietà im Petersdom. Wenn eine Mutter ihr Kind begraben muss, gilt dieses Schicksal als Inbegriff des Leids und als bittere Anfrage an Gott: „Warum lässt Gott mich so sehr leiden?“
So lässt sich gerade dieser „Oktavtag“ als Gnadenschatz heben: Du, Jeschua, bist der „Ich-bin-da“, Du bist Immanuel, der „Gott mit uns“. Von guten Mächten sind wir treu und still umgeben. Meine Leidfragen beantwortest Du mit der Schmerzensmutter: Mein Leid ist Dein Leid; wir tragen es gemeinsam.