Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg lässt sich ganz einfach allegorisch deuten: Die Arbeiter sind die Jünger und Jesusnachfolger in der Gemeinde des Matthäus, der Weinbergbesitzer ist Gott und die Bezahlung der Arbeiter zeigt, dass die Logik Gottes ganz anders ist als die Logik der Welt. So weit, so klar. Oder?
Die Gleichnisse Jesu gehen bei allegorischer Lektüre nur selten auf, und so ist es auch hier: Wenn die Arbeiter der ersten Stunde diejenigen sind, die früher zum Glauben gekommen sind, die Arbeiter der letzten Stunde diejenigen, die erst kurz vor knapp zu Jesus finden, und Gott allen den gleichen Lohn – das Himmelreich – gibt, dann ist man nicht nur bei Spekulationen über himmlische Ökonomie und bei Vergleichen mit der irdischen angekommen, sondern gerät auch schnell in eine theologische Schieflage.
Wenn man das Gleichnis so versteht, dann sind Glaube und Nachfolge nicht freudiger Gottesdienst, sondern schwere körperliche Arbeit, für die man entschädigt werden muss. Der Blick auf die anderen, die später dazukommen, wird gerade dann zum Problem, wenn er mit einer moralischen Wertung einhergeht: Während man sonntagmorgens früh aufsteht und zum Gottesdienst geht, schlafen die anderen, die Samstagabend feiern waren, einfach weiter. Die sauertöpfischen Heiligen, wie Teresa von Ávila sie nennt, würden zwar selbst auch lieber feiern und ausschlafen, doch wenigstens sind sie sich einigermaßen sicher, besser zu handeln und auf das himmlische Erlösungskonto einzuzahlen.
Und da ist sie wieder, die Vorstellung vom Glauben als Bürde und als schwere Arbeit, gepaart mit einem etwas überheblichen Blick auf die anderen, die sich lieber amüsieren, als die schwere und unangenehme Arbeit der Nachfolge zu tun. Glauben, so ist die Logik, ist keine Freude, sondern eine Pflicht – und zwar eine lästige. Mit dem Himmelreich hat das wenig zu tun. Jesus erzählt Petrus das Weinberggleichnis als Antwort auf seine Frage, was der Lohn der Nachfolge sei, sprich: was er, Petrus, als Belohnung dafür erwarten könne, alles aufgegeben zu haben. Die Antwort Jesu ist klar: Es geht weder um Belohnung noch um Vergleiche. Wer Leistungsdenken oder moralische Überheblichkeit mitbringt, darf sich hinten anstellen und noch einmal darüber nachdenken, worum es beim Glauben und in der Nachfolge wirklich geht. Eine beengte Seele kann Gott nicht freudig dienen, sagt Teresa. Von ihr lässt sich auch lernen, dass die persönliche Gottesbeziehung, das Leben im Glauben und die Gemeinschaft in Christus Vergleiche nicht gut vertragen. Vielmehr: Der Vergleich ist der Tod des geistlichen Lebens. Auf diesem Weg werden die Ersten blitzschnell zu den Letzten.
In Glaubensdingen gerade nicht auf den anderen und seinen Glauben zu schauen, sondern auf sich selbst und die eigene Gottesbeziehung, das ist vielleicht die wichtigste Lektion des Weinberggleichnisses. Diese Lesart kommt ganz ohne Allegorie und Spekulationen über himmlische und irdische Ökonomie aus – und ohne allzu einfaches Auflösen des Interessenkonflikts zwischen den Arbeitern der ersten und denen der letzten Stunde.