Erstaunlich, wie dieser französische Bischof schreibt, ohne jede Attitüde von missionarischer Belästigung oder kirchlicher Besserwisserei. Albert Jean-Marie Rouet ist wirklich willens und fähig, bei „den Anderen“ in die Schule zu gehen und von ihnen zu lernen. Die sogenannten Indifferenten sind nämlich viel aufregender, als ihr „kirchlicher“ Name „Fernstehende“ (welch egozentrisches Wort!) unterstellt. Wie schade also, „dass die Indifferenz meistens wie ein Symptom behandelt wird, und nicht wie eine Frage“. Rouet ist überzeugt: Die religiös Uninteressierten können einen nicht nur das Staunen lehren, sondern das Danken – und eben das Fragen und „das Begehren, das Leben zu leben, das man für das beste hält“. Vorgefertigte Antworten und „Spiritualität“ allein genügen nicht. Dagegen schafft es sozusagen eine mitkreatürliche Solidarität, diesen abgründigen Lebensglauben zu entdecken und dieses elementare „Begehren zu befreien“. Dies gilt es zu würdigen und zu gestalten. Denn die größte Gefahr liegt in der Erschöpfung und Resignation, in der schleichenden Verachtung dessen, was doch am schönsten ist: da sein.
Rouet ist nicht irgendwer. Der inzwischen emeritierte Bischof von Poitiers (Jahrgang 1936) machte seinerzeit von sich reden, weil er getauften Mitchristen in Pastoralteams die Leitung ganzer Gemeinden anvertraute. Dieses Buch, schon vor acht Jahren in Frankreich erschienen, dokumentiert einen bewegenden Lernprozess, den wir in Deutschland weitestgehend noch vor uns haben. Seinerzeit, als man hierzulande noch „den Glauben weitergeben“ wollte wie ein Paket, waren die französischen Bischöfe bekanntlich schon so weit, „den Glauben vorzuschlagen“ und ihn einladend für sich sprechen zu lassen.
Rouet ist inzwischen weiter gegangen – und zwar „dank“ der religiös uninteressierten wachsenden Mehrheit. Alles kommt darauf an, „mit diesen Menschen einen Glauben (zu) entdecken, der uns allen vorausliegt. Es gilt also, sich gemeinsam von der Absichtslosigkeit dieses Glaubens in Frage stellen zu lassen.“ Schon solches Lebensvertrauen ist absolut nicht selbstverständlich. Wem zu seiner ausdrücklichen Gestaltung sogar der Christusglaube geschenkt wurde, umso schöner – und verpflichtender. „Deshalb antworten die Gläubigen nicht Gott, sondern sie ver-antworten Gott, sie stehen ein für Gott. Für den, der den Wörtern das Wort seines Atems verleiht: Verlangen.“
Gewiss: Diese kostbaren Überlegungen, tief biblisch reflektiert, kommen aus dem französischen Kontext und können für deutsche Leserinnen auch ungewohnte Wendungen bringen, trotz hervorragender Übersetzung und Kommentierung. Aber dieses lebensnahe und gut lesbare Buch buchstabiert beispielhaft jene Grundhaltung, die menschheitlich und christlich an der Zeit ist – und für Kirche und Christenheit ist höchste Zeit. Schon der Titel ist Programm, nein Evangelium. Und das heißt: Blickwechsel und Umkehr zum Leben, dank „der Anderen“.