Die gefallene Sonnenkönigin

Es gab eine Zeit, da galt die Theologie als erste und höchste unter den Wissenschaften. Doch seitdem ist viel Zeit vergangen. Die Theologie ist zu einem Fachbereich unter vielen geworden – und schließlich oft genug zum akademischen Sorgenkind. Heute stellen sich nicht nur Kirchenkritiker, sondern auch so manche Universitätsleitung die titelgebende Frage: „Braucht es Theologie?“ Das Jahrbuch der Hochschule Brixen legt den Finger in diese Wunde und zeichnet ungeschönt das Bild einer Wissenschaft, die sich ihres Rangs als „Sonnenkönigin“ der Universität einst sehr sicher war und heute immer wieder neu lernen muss, ihren Platz zu finden.

Insgesamt 14 hochkarätige Theologinnen und Theologen haben Texte zusammengetragen, die zeigen, warum ihr Fachgebiet auch jenseits von Hörsälen relevant ist und bleibt. Dabei geht es von den „Klassikern“ wie der Theodizee-Frage zu sehr aktuellen Forschungsfeldern. So nimmt die Neutestamentlerin Maria Theresia Ploner die Männlichkeitsforschung in der Bibelexegese unter die Lupe: Was sagt es aus, dass König David vom Kriegsheld zur „Heulsuse“ wird? Können wir etwas von der Körperlichkeit eines Jesus lernen, der keine Scheu hatte, selbst Aussätzige zu berühren und von seinen Jüngern mit einem Kuss begrüßt (und verraten) wurde? „Gerade weil Religionen Männlichkeitsvorstellungen prägen und transportieren, kann die Theologie sich diesem gesellschaftspolitischen Diskurs nicht mehr entziehen“, so Ploner „Sie muss diesen positiv auch durch ihre Forschung und Selbstreflexion mitgestalten.“

Beachtenswert ist auch der Beitrag des Philosophen Markus Moling, der die Ausgangsfrage nutzt, um zu diskutieren, welche Rolle (Geistes-)Wissenschaften in einer weitgehend durchrationalisierten kapitalistischen Welt überhaupt spielen können. „Im Lauf der Geschichte hat Theologie dazu beigetragen und trägt weiter dazu bei, dass grundlegende Fragen des Menschseins wachgehalten werden“, fasst Moling zusammen. Dieses Buch gibt einen knappen, gut lesbaren Überblick über einige davon und liefert damit eine eindeutige Antwort auf die Ursprungsfrage. Ja, es braucht Theologie. Heute vielleicht mehr denn je.

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Ernesti, Jörg (Hg.)

BRAUCHT ES THEOLOGIE?Überlegungen zu ihrer gesellschaftlichen Relevanz

Verlag A. Weger, Brixen 2023, 226 Seiten, 24,95 €

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