Ich weiß, meine Worte ändern nichts und bedeuten wenig, aber es tut mir so unglaublich leid, was mein Volk eurem Volk antut.“ Das schreibt ein junger Muslim aus Gaza an eine befreundete Israelin. Ich lese das im Internet hier im arabischen Ostjerusalem, während die Warnapp pausenlos ertönt und die Orte nennt, zu denen Raketen aus Gaza unterwegs sind. Diese wenigen, hilflosen Zeilen bewegen mich. Und ich weiß, dass er nicht der einzige Palästinenser ist, der so denkt und fühlt.
Natürlich erschaudere ich, wenn ich bei den Detonationen in meiner Umgebung den Beifall auf den Dächern und Balkonen sehe. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass der Generalverdacht und die Gleichung „Palästinenser = Hamas = Terroristen“ nicht stimmt, auch wenn die Sympathisanten dieser skrupellosen, verbrecherischen Mörderbande sich eher zeigen als diejenigen, die den gleichen Abscheu empfinden wie ich.
Der junge Mann aus Gaza war einverstanden, dass seine israelische Freundin seine berührenden Zeilen in den Sozialen Medien postete. Ich wünschte, diese Stimmen wären lauter, wären ohrenbetäubend laut. Aber auch hier bremst die Angst, das zu tun, was eigentlich zu tun wäre. Wie ein schrecklicher Virus hat die Hamas das palästinensische Volk befallen, doch nicht alle sind infiziert. Das angstbehaftete Schweigen der Mehrheit in totalitären Systemen wiederholt sich immer wieder.
Es war schon immer schwierig, in diesem heilig-unheiligen Land zu leben, wenn man sich nicht mit Scheuklappen in die Kuschelecken der Pilgerorte zurückzog und die harte Wirklichkeit auszublenden versuchte. Mir ist das nie gelungen, aber ich habe es auch nie versucht. Seit Samstag, seit dem Massaker an Simchat Torah, jenem sonst von Freude, Tanz und Ausgelassenheit bestimmten heiteren Fest, geht das erst recht nicht mehr. Was am Samstag passierte, übersteigt alles, was dieses Land an Entsetzlichem schon erlebt hat – und es hat viel erleben müssen. Mir wird es für immer unbegreiflich sein, wie ein Mensch dazu kommt, sich vor ein Kind zu stellen und es zu erschießen. Keine eigene Verletzung, kein am eigenen Leib erlittenes Unrecht kann das brutale Rachegefühl rechtfertigen, das in der Lage ist, feiernde junge Menschen einer Rave-Party auf grausamste Weise zu töten.
Und das Töten hört nicht auf. Die Bomben auf Gaza treffen und zerstören die Terrornester der Hamas, aber es sterben auch Kinder, Frauen und Männer, die nichts mit diesen Banditen zu schaffen haben. So ist das im Krieg, und den haben wir jetzt.
Das Angebot, ausgeflogen zu werden, habe ich abgelehnt. Ich lebe gern hier in guten Tagen und kann nicht einfach gehen, wenn es schwierig geht. Das können die Einheimischen auch nicht. Die Erfahrung der eigenen Hilflosigkeit muss ich aushalten. Nach stundenlangem Schlangestehen mein Blut gespendet zu haben, gibt ein winzig kleines Gefühl, nicht sinnlos hier zu bleiben.
Es wird viel zu analysieren geben, wie es zu dieser Situation kommen konnte, die sich eher verschlechtern wird. Man wird noch mehr erkennen, wie das Unrecht der Besatzung den Hass der Unterdrückten geschürt hat. Aber jetzt überwiegt die unendliche Trauer. Ich weine mit den Familien der Israelis, die auf die fürchterlichste Weise ihre Liebsten verloren haben. Und ich weine auch mit den unbeteiligten Familien in Gaza. Shalom für Israel, Salam für Palästina! Trotz allem und gerade deswegen.