BischofssynodeVon römischen Gassen und synodalen Wegen

Papst Franziskus hat der Kirche eine Gesprächskur verordnet. Kann sie der Auflösung des Katholizismus Einhalt gebieten?

Viele Wege führen nach Rom. So sagt ein altes Sprichwort. Und so mancher Weg endet in Rom beziehungsweise im Vatikan, obwohl er in eine ganz andere Richtung gedacht war. Das haben Generationen von Menschen erfahren, die sich für Reformen in der Kirche stark machten. Ob im mittelalterlichen Streit um den Laienkelch, in Auseinandersetzung mit der südamerikanischen Befreiungstheologie oder der Schwangerenberatung in Deutschland, im Ringen für einen konfessionsübergreifenden Kommunionempfang oder eine zeitgemäße Sexuallehre: Immer wieder tauchten auf dem Weg der Erneuerung römische Stoppschilder auf. Einige wurden ignoriert oder konnten mit der Zeit überwunden werden, andere wurden zum Trennungsgrund – weil Gläubige Rom die Gefolgschaft verweigerten und anderswo ihr Heil suchten.

Für die katholische Kirche bleibt die „Ewige Stadt“ Dreh- und Angelpunkt, selbst wenn – noch so ein Sprichwort – Rom und der Papst weit weg sind. Die Stadt als religiöses Verwaltungszentrum und ihr Bischof als Identifikations- und Leitungsfigur haben eine weltumspannende Religionsgemeinschaft wohl erst möglich gemacht und konnten sie erfolgreich durch die Jahrhunderte führen. Doch mit der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Gesellschaften wurde der römische Zentralismus zum Problem. Die vielbeschworene „Einheit in Vielfalt“ droht auseinanderzufallen, das Zentrum wird der Fliehkräfte an den Rändern nicht mehr Herr.

Das Zaubermittel, mit dem Papst Franziskus die Kirche einen und die widerstreitenden Reform- und Beharrungskräfte unter einen Hut bringen will, heißt Synodalität. Nach seiner Auffassung ist sie nicht nur eine hilfreiche Verständigungsmethode im Krisenfall, sondern ein Wesensmerkmal der Kirche. Und so richten sich die Augen der katholischen Welt dieser Tage erneut nach Rom, wo seit Anfang Oktober die sogenannte Weltsynode tagt.

Über die Versammlung wurde im Vorfeld viel spekuliert und geschrieben. Auch, dass man sie gerade nicht als Weltsynode bezeichnen sollte, da sie durch das Stimmrecht von nichtgeweihten Christinnen und Christen zwar „demokratisch aufgelockert“, im Kern aber weiterhin bischöflich verfasst sei – daher nicht repräsentativ und zudem ohne bindende Entscheidungsgewalt. Um daran keinen Zweifel aufkommen zu lassen, betonte Papst Franziskus bei der Eröffnung erneut, dass Synodalität nicht mit Parlamentarismus zu verwechseln sei. Wovon er sich offenbar abgrenzen wollte, waren Polarisierung und Streit als seiner Meinung nach wesentliche Begleiterscheinungen demokratischer Entscheidungsfindungsprozesse. Zu Recht kritisierte Georg Bätzing die Aussage umgehend. Die Kirche dürfe den Parlamentarismus nicht zum Widersacher des Geistlichen stilisieren, so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Und in der Tat traut die Kirche demokratischen Abstimmungen ja durchaus zu, dass in ihnen der Geist Gottes wirkt: bei den Entscheidungen von Konzilien etwa sowie bei jeder Abt- oder Papstwahl. Warum nicht auch hier?

Ohne Zweifel sollten kirchliche Beratungen vom Zuhören und von gegenseitigem Respekt geprägt sein – so wie demokratische Prozesse übrigens auch. Doch steht bei vielen Menschen, die sich nach kirchlichen Reformen sehnen, die Befürchtung im Raum, dass bei der römischen Synodalitätssynode die Inhalte hinter der Methode verschwinden könnten. Mit dem Ergebnis: Schön, dass wir gesprochen haben, für konkrete Schritte ist es aber noch zu früh. Wie aber können verschiedene kirchliche Strömungen in der Welt zu ihrem eigenen Recht kommen, ohne sich von Rom lossagen zu müssen?

Spannende Perspektiven auf diese Frage bietet Gregor Maria Hoffs neues Buch In Auflösung. Obwohl das Thema Synodalität nicht zentraler Gegenstand des Bandes ist, taucht es immer wieder darin auf. Wie im Untertitel angekündigt, befasst sich Hoff mit der „Gegenwart des römischen Katholizismus“. In acht assoziativ gehaltenen „Blenden“ widmet sich der Salzburger Fundamentaltheologe geschichtlichen Entwicklungen, die seit der Reformation wesentlichen Einfluss auf das Selbstverständnis der katholischen Kirche sowie ihre Prägekraft nach außen hatten: politische Infragestellungen und die daraus resultierende Zen- tralisierung auf das Papstamt ebenso wie das Erstarken charismatischer Gemeinschaften, die Missbrauchskrise oder Globalisierung und digitaler Wandel.

Man spürt, dass das Buch während eines Forschungssemesters in Rom entstanden ist: Immer wieder sind lokale Bezüge zu den Gassen, Plätzen und Kirchen der „Ewigen Stadt“ eingestreut. Das entspricht nicht nur der Genese des römischen Katholizismus, sondern auch Hoffs zentraler These, wonach sich das Kirchensystem durch dogmatische Vereindeutigung gesellschaftlichen Veränderungen verweigert habe und sich deshalb in Auflösung befinde. Einheit sei nicht selten auf Einheitlichkeit hinausgelaufen. Diese Strategie, mit der sich die Papstkirche lange Zeit gegen pluralistische Herausforderungen zur Wehr setzen konnte, wird nun zum Hemmnis: „Es handelt sich um die Verwandlung eines historischen Phänomens, das sich in Echtzeit beobachten lässt. Es geht um Sterbeprozesse einer Kirchenform, die seit dem 16. und 19. Jahrhundert formativ wirkte.“

Detailreich rekonstruiert Hoff, wie die Selbstauflösung des römischen Dogmatismus voranschreitet, etwa im Streit um das immer wieder in Frage gestellte Verbot der Frauenweihe durch Papst Johannes Paul II. oder die uneindeutige Zulassung wiederverheiratet Geschiedener zur Kommunion durch Papst Franziskus. Letzten charakterisiert Hoff als ambivalente Schlüsselfigur: Mit seinem pastoral-pragmatischen Stil befeuert der argentinische Papst die Auflösung des genuin römischen Katholizismus, während er sich zu konkreten inhaltlichen Schritten offenbar nicht durchringen kann oder will. In einer „synodalen Transformation“ verschiebe Franziskus die Akteurschaft der Erneuerung von der Hierarchie auf das Volk Gottes und verfolge ein „kommunikatives Modell kirchlicher Wahrheits- und Entscheidungsfindung“.

Ob der Papst die Hoffnung erfüllen kann, die er mit dem Projekt einer synodalen Kirchen geweckt hat, bleibt abzuwarten. Bisher halten sich die knapp 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der römischen Synode an die päpstlich gebotene Gesprächskultur – es dringen kaum Details der Beratungen nach draußen. Die abschließende Versammlung und damit mögliche Abstimmungen stehen zudem erst in einem Jahr an. Für Hoff steht jedoch bereits fest: „Auch wenn dem Papst die letzte Entscheidung reserviert bleibt, verändert die synodale Disposition die katholische Kirchenarchitektur bereits in einem Maße, dass sich die Rückkehr zum Modell des römischen Katholizismus nur noch im Widerspruch zu ihm vollziehen könnte.“

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Hoff, Gregor Maria

IN AUFLÖSUNGÜber die Gegenwart des römischen Katholizismus

Verlag Herder, Freiburg 2023, 224 Seiten, 28 €

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