Vielen ist der Begriff „spiritueller Missbrauch“ inzwischen zwar geläufig, aber ein wirkliches Bewusstsein für und das Wissen um die Gefahren, Merkmale und Folgen dieses Problems ist teilweise immer noch zu wenig vorhanden. Um diesem Missstand abzuhelfen, haben vier Expertinnen auf diesem Gebiet – Barbara Haslbeck, Ute Leimgruber, Regina Nagel und Schwester Philippa Rath – unter dem Titel Selbstverlust und Gottentfremdung diesen Sammelband herausgegeben.
Das Buch verbindet neunzehn erschütternde Betroffenenberichte mit kundigen theologischen und kirchenrechtlichen Analysen, die nicht nur eine hilfreiche Definition von spirituellem Missbrauch bieten, sondern auch Wege aufzeigen, wie dieser in Zukunft möglichst verhindert werden könnte und sollte.
Die Berichte sind in die Kategorien „Spirituelle Gewalt“ und „Spiritualisierte Machtausübung“ unterteilt. Bei vielen Betroffenen steht am Anfang die Sehnsucht nach einem intensiven Glaubensleben oder eine konkrete Berufung. Damit geraten die betroffenen Frauen jedoch in die Fänge toxischer geistlicher Gemeinschaften, Priester oder Ordensoberinnen. Diese setzen spirituelle Denkmuster und Begrifflichkeiten als Macht-, Manipulations- und Unterwerfungswerkzeug ein. Die Betroffenen werden so schließlich in Burnout, Depression, Suizidgedanken und, wie der Titel bereits treffend formuliert, in „Selbstverlust und Gottentfremdung“ oder gar völligen Glaubensverlust getrieben. Die Zeugnisse in dem Buch drehen sich jedoch nicht ausschließlich um Leiderfahrungen, sondern zeugen auch von der Resilienz, Selbstermächtigung und -befreiung der Frauen – und teilweise sogar von einem „entgifteten“, neu erschlossenen und somit heilsamen Zugang zum Glauben.
Reflexionen von Verantwortungsträgerinnen in Frauenorden wie Schwester Franziska Mitterer, Schwester Ruth Schöneberger und Schwester Philippa Rath runden den hochinformativen, aufrüttelnden und wegweisenden Sammelband ab. Selbstverlust und Gottentfremdung sollte zur Pflichtlektüre für alle Theologiestudierenden, angehenden und aktiven Priester sowie zum festen Bestandteil einer jeden Klosterbibliothek werden.