Es knirscht. Katholische und evangelische Kirche in Deutschland bekommen ihre Positionen zu Themen des Lebensschutzes kaum noch mit- und vor allem aufeinander abgestimmt. Im Gegenteil: Die Unterschiede treten immer offener zutage.
Beispiel Suizidbeihilfe. „Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen.“ Mit diesem lapidaren Satz kippte das Bundesverfassungsgericht Anfang 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung. Damals reagierten die Kirchen noch mit einer scharfen gemeinsamen Stellungnahme: „Dieses Urteil stellt einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar.“
Doch bald schon sollte die „Brandmauer“ bröckeln. In einem Zeitungsbeitrag forderten ranghohe Protestanten, kirchliche Einrichtungen sollten sich einem Suizidwunsch ihrer Bewohnerinnen und Bewohner nicht automatisch verweigern. Zur „Wahrung der Selbstbestimmung“ könnten sie „abgesicherte Möglichkeiten eines assistierten Suizids ... anbieten oder zumindest zulassen und begleiten“. Der Vorstoß ist inzwischen ziemlich genau die erklärte Haltung der EKD. Auf katholischer Seite steht dagegen, zumindest offiziell, nach wie vor das klare Nein zur Suizidbeihilfe. „Das widerspräche grundlegend der christlichen Auffassung von der Unantastbarkeit des Lebens“, sagte der damalige Caritas-Präsident Peter Neher.
Aktuell lassen sich konfessionelle Differenzen am Anfang des Lebens beobachten. Dabei begegnet dasselbe Muster: Die evangelische Kirche weicht als erste vom gemeinsamen Konsens ab. So ließ der Rat der EKD soeben verlauten, dass er es für denkbar hält, Abtreibungen unter bestimmten Bedingungen auch außerhalb des Strafrechts zu regeln. Die katholische Kirche hält mit dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer dagegen: „Als Christen wären wir herausgefordert, der säkularen Mehrheit in unserem Land die Botschaft von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen in all ihren Facetten darzulegen und so gemeinsam Anwalt für das Menschsein und für das gottgewollte Leben zu sein. Leider erleben wir aber, dass sich gerade in diesem Bereich die Konfessionen immer mehr auseinanderbewegen.“
Offensichtlich haben beide Kirchen noch keinen Umgang damit gefunden, dass Christinnen und Christen – begründet und mit bester Absicht – zu unterschiedlichen Akzentsetzungen kommen können. Die Dinge sind eben vielschichtig. Leider geben sich beide Seiten derzeit aber auch keine Mühe, den ökumenischen Partner verstehen zu wollen. Stattdessen ziehen sich die Evangelischen einfach aus der „Woche für das Leben“ zurück, frei nach dem Motto: „Lieber weniger mit den Katholiken machen, die in der öffentlichen Wahrnehmung noch schlechter dastehen“. Und diese wiederum begnügen sich meist damit, über angeblich weichgespülte protestantische Positionen zu lästern. Dass die eigene „klare Kante“ für Leute attraktiv ist, mit denen man sich besser nicht gemein macht, nimmt man hin (so im Umfeld beim „Marsch für das Leben“).
Können sich die Kirchen neu zusammenraufen? Sowohl die Themen am Anfang als auch am Ende des Lebens werden die Politik in den nächsten Wochen beschäftigen. Es wäre tragisch, wenn Christinnen und Christen an dieser Debatte nicht teilnehmen würden, weil man von ihnen nichts wahrnimmt außer Streit und Profilierungsversuche.