Die Grenze liegt bei 45. Alle, die jünger sind, dürfen aktuell nicht am Freitagsgebet der Muslime im Felsendom teilnehmen. Ab dem Alter von 45 Jahren sind die israelischen Sicherheitskräfte offenbar der Meinung, dass sich Palästinenser nicht mehr zu unüberlegtem Steinewerfen und Gewaltakten hinreißen lassen. Irgendwo auch nachvollziehbar. Mit 45 haben die meisten hier Familie und Kinder und damit auch Verantwortung im Leben. Hitzköpfe finden sich eher unter den Jugendlichen.
Insofern bleibt es ruhig am „Sonntag der Muslime“, an den Freitagen in der Altstadt von Jerusalem. Im Österreichischen Hospiz haben wir einen guten Überblick darüber, was auf den Straßen vor sich geht: Deutlich weniger Menschen als sonst, deutlich mehr israelische Uniformierte, die immer wieder palästinensische Fußgänger aufhalten und befragen. Und wir mittendrin, als kleine christliche Insel.
Kein Israeli traut sich in die Altstadt
Gewöhnlich wäre auch unser Wiener Kaffeehaus am Wochenende gut besucht. Doch kein Israeli traut sich im Moment hierher in die Altstadt. Sie haben Angst vor Übergriffen und Attentaten. Damit sind sie nicht allein. Die Palästinenser im arabischen Osten der Stadt bleiben ebenfalls eher zu Hause. Sie sorgen sich wegen möglicher Übergriffe von extremistischen jüdischen Gruppen. Die Nerven liegen blank, auf beiden Seiten. Auch wenn wir alle hier wissen: Wir sind nicht direkt betroffen. Die eigentliche Kampfzone konzentriert sich auf den Süden rund um Gaza und Übergriffe gibt es eher in der Westbank zwischen Siedlern und den umliegenden arabischen Dörfern.
Wenn ich mit den Händlern in unserer Nachbarschaft rede, dann höre ich vor allem eines: Wir machen keine Geschäfte, die Touristen sind weg. Sie machen sich Sorgen, dass der Krieg lange dauern könnte und ihre Familie finanziellen Schaden nimmt. Denn die Anhänger der Hamas sind in der Altstadt von Jerusalem überschaubar. Hier hält man wenig von den strengen Regeln des Korans, wenn man täglich mit Ausländern zu tun hat. Aber auch wenn sie in der Minderheit sind: Es gibt sie dennoch. Die Anhänger des „reinen Islams“, für die jeder Ausländer nicht nur Finanzquelle, sondern auch Überbringer westlicher Werte ist, vor denen man die eigenen Kinder gerne schützen möchte.
Weniger Hoffnung, weniger Vertrauen – was bleibt?
In den letzten Jahren hat die Hamas auch in Jerusalem mehr Anhänger gewonnen. Je länger der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern dauert, desto weniger Hoffnung haben sie. Je länger sie ihre eigene Regierung in Ramallah nicht wählen lässt, desto weniger Vertrauen herrscht in die Politik. Was bleibt übrig? Für viele nur die Antworten der Religion. Auch wenn sie denkbar ungeeignet sind für die aktuelle Tagespolitik.
Gerade weil so viele Palästinenser in Jerusalem mit Ausländern zu tun haben, sehen sie auch die Unterschiede zwischen ihrem eigenen Weltbild und jenem des Westens. Viele ziehen hier eine klare Trennlinie, doch gar nicht wenige erkennen auch die Vorteile des westlichen Modells. Damit will ich nicht sagen, dass in Europa alles zum Besten steht. Damit will ich nur sagen, dass es Menschen immer zum Denken bringt, wenn man über den eigenen Tellerrand blickt. Und das geht in Jerusalem besser als an anderen Orten. Hier hat jeder mit jedem zu tun, unvermeidlich. Vielleicht ist deshalb auch der Konflikt unvermeidlich.