Ein Komponist stirbt während der Arbeit an einem Requiem. Der Tod Wolfgang Amadeus Mozarts und die mythenumrankte Geschichte um sein letztes Werk (KV 626) muten bisweilen wie ein Thriller an. Schon kurz nach dem Ableben des Musikgenies am 5. Dezember 1791 setzte die „blühende Legendenbildung“ ein, wie sie der Theologe Jürgen Bärsch und der Kirchenmusiker Markus Uhl nennen. Mit ihrem fachkundigen und leicht verständlichen Buch wollen sie „aus dem Gewirr der gezielten Falschinformationen, Vermutungen und Spekulationen die Faktenlage rekonstruieren“.
Das beginnt schon bei der Todesursache Mozarts. „Ein Giftmord war es nicht“, sagt Bärsch, der Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt ist. „Hitziges Frieselfieber“ ist im Totenschein vermerkt. Eine Verlegenheitsdiagnose. Vermutet wird inzwischen ein rheumatisches Entzündungsfieber, gefolgt von einer Herzmuskelentzündung. Eine durchaus plausible Diagnose, führt man sich den Lebenswandel des Musikers vor Augen. Er verdiente zwar sehr gut, verprasste aber seine Honorare. Geldsorgen plagten ihn.
Da kam ihm jener gut dotierte Auftrag gerade recht, den er über einen Strohmann erhielt. Der tatsächliche Auftraggeber Franz Graf von Walsegg (1763–1837) hatte die Angewohnheit, immer wieder Musikstücke bei bekannten Komponisten zu bestellen. Er sicherte sich die Exklusivrechte, um die Werke dann als seine eigenen auszugeben. Dieses Mal war Mozart als Ghostwriter an der Reihe. Das gewünschte Stück sollte zum ersten Todestag von Walseggs Frau Maria Anna Theresa aufgeführt werden. „Mozart hoffte, im Bereich der Kirchenmusik in Wien Fuß zu fassen, auch um ein sicheres Einkommen zu bekommen“, so Bärsch.
So trieb Mozart seinen Körper mit exzessivem Arbeiten, wenig Schlaf und ausgiebigen Trinkgelagen bis ans Ende seiner Kräfte. In den Monaten vor seinem Tod war der 35-Jährige völlig überlastet. Im November 1791 erkrankte er und starb kurz darauf. Mozarts Witwe, Constanze Mozart, heizte die Gerüchteküche an, indem sie manche Anekdote aufbrachte. Etwa dass ihr Mann unter Tränen eine beklemmende Todesvorahnung geäußert habe – verbunden mit der Aussage, er komponiere das Requiem wohl auch für sich selbst. Wie das bei Anekdoten so ist, lässt sich auch dies heute nicht mehr verifizieren.
Finanzielle Motive trieben die Witwe an, das steht allerdings fest. Sie wollte das ausstehende Honorar kassieren. Nach dem Tod ihres Mannes setzte sie alles daran, dass das Fragment vervollständigt wurde. „Sie hat das Requiem geschickt genutzt, um daraus Kapital zu schlagen“, sagt der Liturgiewissenschaftler Bärsch. Wird das Werk heute aufgeführt, dann meist in der Fassung von Franz-Xaver Süßmayr. Der Schüler Mozarts vollendete den Torso in kürzester Zeit, womit sich sicher auch so mancher handwerkliche Fehler erklären lässt.
„Gerade bei Totenmessen ist die Bereitschaft der Zuhörer, sich mit den religiösen Themenfeldern Leiden, Tod, Gericht und Auferstehung auseinanderzusetzen, sich von ihnen einnehmen und prägen zu lassen und die tradierten, uralten Rituale mitzuvollziehen, naturgemäß besonders groß“, erklärt Markus Uhl. Der Bezirkskantor der Erzdiözese Freiburg an der Jesuitenkirche in Heidelberg sieht in dem Requiem „ein einziges flehentliches Fürbittgebet für die Seelen der Verstorbenen“. Bärsch wiederum findet bemerkenswert, dass ein Musikstück für eine Totenmesse dieses Eigenleben entwickelt habe: „Es wanderte aus dem Gottesdienst in die Konzertsäle.“