Kirche, Kunst, KinderKindchenschema

Wie sich der Blick auf Kinder entwickelt hat, und was die Kirche dabei von der Kunst lernen kann.

Christkind, Kopie des Gnadenkinds der Augustiner in München für Weihnachtsfeiern in Familien. Wachs, Glasaugen, Stoff, um 1800 (© Diözesanmuseum Freising, Foto: Michael Hopf)
Christkind, Kopie des Gnadenkinds der Augustiner in München für Weihnachtsfeiern in Familien. Wachs, Glasaugen, Stoff, um 1800 (© Diözesanmuseum Freising, Foto: Michael Hopf)

Sie wickelte ihren Sohn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“ So schildert der Evangelist Lukas die Begleitumstände der Geburt Jesu (2,7). Damit sich ein Kind, das aus dem warmen Mutterleib kommt, nicht sofort erkältet, muss es eingewickelt werden. Das geschah mit Tüchern, die den kleinen Körper von den Zehen bis zu den Schultern in gerader Haltung fixierten. Strampelanzüge, die Bewegung erlauben, gibt es erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts, ebenso wie Wärmestrahler. Aber schon seit dem Altertum gibt es Darstellungen von Neugeborenen, die wie unser Wachskind aus dem Diözesanmuseum in Freising eng gewickelt sind. Sie haben meist ein Strohbündel als Körper, dem Schultern und Kopf aus Wachs aufgesetzt sind. Diese Puppen kann man in Wiegen legen und dazu Lieder singen, wie es seit dem 12. Jahrhundert überliefert ist. Man – und Frau und Kind – kann die Puppe aber auch in den Armen wiegen oder sie unter den Christbaum legen (seit dem 16. Jahrhundert ist dieser Brauch bekannt).

Unsere Abbildung zeigt eine Kopie des Münchner Augustinerkindels, das heute in der Bürgersaalkirche der Marianischen Männerkongregation aufbewahrt und in der Weihnachtszeit ausgestellt wird. Das Original kam um 1600 als Geschenk in die Kirche der Augustiner-Eremiten an der Neuhauser Straße. Vermutlich hatte es einer der Augustiner mitgebracht, die damals aus Italien nach München kamen und das Kloster nach der Reformation wieder auffüllten.

Es wird erzählt, dass die Puppe einem der Mönche heruntergefallen und zerbrochen sei. Er versteckte die Scherben, die sich auf wunderbare Weise wieder zusammenfügten, sodass das Kind zum nächsten Weihnachtsfest wieder vollständig war. Der verbreitete Wunsch, dass Zerbrochenes von selbst wieder ganz werde, machte die Puppe populär. Sie wurde als Gnadenkind verehrt, dem viele Votivgaben dargebracht wurden und das immer wieder kopiert wurde. Statt der sechs silbernen Kronen mit Glassteinen des Originals trägt unsere Kopie je sechs rote und weiße Spitzenrüschen. Sie ruht auf einem Prunkkissen. Schultern und Kopf sind aus Wachs mit eingesetzten Glasaugen, das Kind trägt einen Heiligenschein aus strahlenförmigen Silberblechen.

In der christlichen Kunst war das Jesuskind die erste und wichtigste Gelegenheit, um Kinder ins Bild zu bringen. Sie wurden zunächst als kleine Erwachsene dargestellt. Erst seit dem 14. Jahrhundert, bei Ambrogio Lorenzetti in der Malerei und bei Donatello in der Bildhauerei, wurde der andere Körperbau, die andere Beweglichkeit, das andere Gesicht bei Kindern beobachtet und dargestellt. Die Entdeckung der Kindheit als einer eigenständigen Lebensphase begann also in der Kunst.

Die neuere Verhaltensforschung entdeckte das sogenannte Kindchenschema mit großem Kopf, hoher, vorgewölbter Stirn, kleiner, flacher Nase und kleinem Mund. Es löst bei Betrachtenden Gefühle der Zuneigung aus, die im Gehirn von Frauen und Männern lokalisiert und selbst bei Tieren beobachtet werden können. Lange vor der wissenschaftlichen Ergründung machten sich dies der Trickfilmer Walt Disney (1901–1966) und gleichzeitig die Zeichenlehrerin und Franziskanerschwester Berta Hummel (1909–1946) mit weltweitem Erfolg zu eigen.

Und welche Kunst braucht es für Kinder? Manche meinen, hier müsse es möglichst einfach, gefällig und naiv zugehen. Der Autor dieser Zeilen hat ein anderes Verständnis. Vor einigen Jahren fragte ich, damals Leiter des Diözesanmuseums, nach dem Erlebnis einer Mozartmesse im Weihnachtsgottesdienst beim Seelsorgereferat in München an, warum die Kirche keine Ansprüche mehr stelle. Warum sie statt hoher Kunst leichte Gesänge, gefällige Bilder und bequeme Liturgie anstrebe. Daraus entwickelte sich eine lebhafte Diskussion. Als Museumsmann, von Haus aus Kunsthistoriker, bekam ich zu hören, die Kunstvermittlung sei meine Aufgabe – nicht aber die der Religionslehrerinnen und -lehrer, Liturgen und Seelsorger. Zudem waren sich alle einig, dass sich die katholische Kirche am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr auf dem Niveau des 18. und früherer Jahrhunderte befinde, sondern kulturell abgestiegen sei. Die Frage, ob man von einem niedrigen Niveau zum Höchsten gelangen, dem Höchsten gerecht werden kann, blieb offen.

Der Münchner Moraltheologe Richard Egenter definierte bereits 1950 in seinem vorkonziliaren, aber immer noch lesenswerten Buch Kitsch und Christenleben den Kitsch als falsch. Er sei eine bequeme, schleimige Lüge, die im Umfeld der Verkündigung unbedingt zu vermeiden sei. Der Schriftsteller Salman Rushdie hat bei der Verleihung des Friedenspreises der Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr gesagt: „Die Wahrheit ist allen zumutbar“ – also auch Kindern.

Wo aber ist die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge? Wo beginnt der Kitsch? Das bleibt eine ästhetisch-ethische Frage von großer Bedeutung, auch bei der Beurteilung von Kinderbüchern. Papst Paul VI. hat 1975 die Kluft zwischen dem Evangelium und der Kultur unserer Zeit beklagt. Johannes Paul II. hat sie vertieft. Diese Bildgedanken versuchen im CIG seit 2007 die Kluft mit kleinen Steinchen zu füllen. Einer der hier vorgestellten Künstler sagte vor Jahren: „Wenn ich in die Sonntagsmesse gehe, langweile ich mich. Wenn ich nicht gehe, fehlt mir etwas.“ Muss das so sein?

Überhaupt: Kinder in der Kirche. Im Freisinger Dom, der voll ist mit Kindern und Säuglingen aus Stuck sowie turnenden Englein oben am Gewölbe, laufen während des Sonntagsgottesdienstes Kinder in den Seitenschiffen auf und ab. Sie versuchen auf die vergoldeten Gitter zu klettern oder stecken ihre Finger in die Nasenlöcher der Marmorlöwen. Oft werden sie von einem streng blickenden Vater oder einer Mutter eingefangen, auf den Arm genommen und anschließend bei der Kommunionausteilung gesegnet. In Zentralräumen, wie sie nach dem Konzil vielfach gebaut wurden, hat man manchmal mit einer Glaswand einen Teil als „Brüllecke“ abgetrennt, damit die Kinder den Gottesdienst nicht stören.

Sollten wir nicht stattdessen Psalm 8, Vers 2 ernst nehmen? „Im Munde der Kinder und Säuglinge hast du dir Lob bereitet, deinen Feinden ins Angesicht, dass Gegner und Widersacher verstummen müssen“ (Romano Guardini, Deutscher Psalter, 1950). Der Theologe und Schriftsteller Arnold Stadler übersetzt in seiner Psalmenausgabe („Die Menschen lügen. Alle“ und andere Psalmen, Insel-Verlag, Frankfurt 1999): „Selbst das Geschrei von Säuglingen ist noch Lob, ein Ja-Sagen zu deiner Schöpfung. Den Atheisten verschlägt es die Sprache.“

Um 1800 hat eine humorlose Aufklärung den Barock-Englein den Kampf angesagt, um den „heiligen Ernst der Religion“ wiederherzustellen. Das Lob Gottes aus Kindermund wurde nicht mehr gehört.

Kinder in der Kirche ist ein oft übersehenes Thema der Kunst – mehr noch eine Aufgabe für alle Gemeinden und Familien, Kindergärten und Schulen – und alle, die mit (Kinder-)Büchern zu tun haben.

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