In Zeiten wie diesen mag es scheinen, als ob alles, was wir mit Advent und Weihnachten verbinden – Frieden, Freude, Zärtlichkeit und Geborgenheit –, wie eine Schneeflocke in der warmen Hand zerschmilzt.“ Es sind unsere Zeiten, die jetzigen Zeiten, von denen der Prager Priester Tomáš Halík in seinen Advents- und Weihnachtspredigten voller Hoffnung spricht. Vieles brennt uns auf der Seele, und Hoffnung sehen wir in den wenigsten Ereignissen um uns herum. Die Pandemie ist in ihrer Wucht zwar abgeflaut, sie hat aber tiefe Gräben und langzeitige Schäden hinterlassen. Und sie ist vor allem tief eingedrungen in unser allernächstes Umfeld, in unser eigenes Erleben. Die Verunsicherungen und Erschütterungen, das Leben im Ausnahmezustand, haben uns alle getroffen. Dass uns etwas zu nahe kommt, gar lebensbedrohlich wird – damit können wir nicht umgehen.
Ähnlich nahe kommen uns die Kriege. Halík schrieb seine Predigten unter den Eindrücken des andauernden Ukraine-Krieges – die sich jetzt mit Beginn des Nahost-Krieges sicherlich noch verstärken. Er schreckt vor deutlichen Worten und Warnungen vor den Angriffen auf die Demokratie, Freiheit, Kulturen und Wirtschaften Europas und der westlichen Welt nicht zurück. Mit Papst Franziskus spricht er davon, dass ein „fragmentierter Dritter Weltkrieg“ schon begonnen hat. In der Ukraine und an vielen anderen Orten ist es ein heißer Krieg, der die fragilen Kristalle, die kunstvollen, vielseitigen, einzigartigen Schneekristalle von Frieden und Liebe zu zerstören droht.
Doch sind diese fürchterlichen Dinge selbst nicht Gegenstand der zwölf Predigten. Diese richten sich auf das Geheimnis der Menschwerdung Gottes. Auf die Ankunft des großen und mächtigen Erlösers Jesus Christus, der als kleines, unscheinbares und schutzloses Kind in unsere Welt hineingeboren wird. Sie richten sich auf den Glauben, der immer wieder aufs Neue dieses Geheimnis zu erkunden versucht. Auf die Hoffnung und die Freude, die mit diesem Kind kam, und die uns Menschen auch heute über so manche finstere Zeit trägt. Auf die Erleuchtung, die Menschlichkeit, die Familie, die Freiheit.
All diese schönen Begriffe wollen immer wieder geklärt sein. Halík nimmt uns diese Arbeit nicht ab. Denn mit allem, was für uns wesentlich werden und Gestalt annehmen soll, müssen wir uns selbst auseinandersetzen. Doch Halík gibt uns Anregungen, wie wir mit diesen Worten und allem, was in ihnen anklingt und bedeutsam werden kann, umgehen können.
„Die großen Geheimnisse – und besonders die Geheimnisse des Glaubens – kann man nicht in derselben Weise wie Probleme angehen; wir können nicht erwarten, sie zu ,lösen‘. Der Glaube ist nicht nur der Mut, in die Wolke des Geheimnisses einzutauchen, sondern die Kunst, mit dem Geheimnis zu leben und es zu respektieren. Das Wort Respekt ist vom Wort re-speculare abgeleitet – noch einmal hinsehen oder sich nicht mit einer oberflächlichen, ersten Auffassung zufriedenzugeben, sondern zurückzugehen, immer wieder und tiefer wahrzunehmen, zu betrachten, zu suchen.“
Bei Halík sehen wir vieles von dieser Suche, von der persönlichen Auseinandersetzung und vom Ringen um treffende Worte und Umschreibungen. Vielleicht stellen sich die Glaubensfragen auch in verdichteter Form, wenn man in einem Land lebt, in dem lange nicht selbstverständlich war, dass der christliche Glaube uneingeschränkt und offen gelebt werden kann. Was bedeutet diese Frohbotschaft, das Evangelium für mich selbst tatsächlich? Inwieweit verändert es meine ganze Lebenswirklichkeit zum Guten hin? Ergreift es mich ganz, trotz aller Hindernisse und Einschränkungen? Worauf hoffe ich?
Glaube, Hoffnung, Freude und Liebe – sie sind wesentliche Aussagen des Evangeliums, die gerade nicht Aussagen bleiben, sondern die jede Person in das eigene Leben einschreiben muss, damit sie wahr werden. Sie müssen selbst erfahren und erlebt werden.
Sie erleben und erfahren – das gilt auch für uns. Nehmen wir uns im Advent Zeit dafür. Machen wir uns auf die Suche. Uns sind ja nach der tschechischen Erzählung, die Halík an den Beginn des Weihnachtsbuches stellt, nicht nur drei, sondern vier Könige auf diesem Weg vorausgegangen. Ich bin gespannt, wo wir ankommen.