Als ich in Bangladesch tätig war, nahm mich 1982 ein amerikanischer Missionar in eines der abgelegenen Dörfer im nördlichen Distrikt Sylhet mit, um mit den dort lebenden Ureinwohnern der Khasis Weihnachten zu feiern. Es war kalt. Als wir bei der auf dem Berg liegenden Holzkirche ankamen, brannte ein großes Feuer vor der Kirche. Bei der Messe begleiteten die Khasis mit traditionellen Instrumenten ihre Gesänge. Unvergesslich, wie am Ende der Messe in und vor der Kirche voll Begeisterung getanzt wurde. Wahre Weihnachtsfreude!
Dr. Klaus Beurle, Würzburg
Nach einem Gottesdienst Anfang Oktober spricht mich ein junger Mann an. Er erzählt mir, dass er aus Guinea stammt und in einer Flüchtlingsunterkunft in Derne lebt, mit zehn Personen in einem Raum. Der Zustand sei für ihn unerträglich, er fände kaum Schlaf. Er fragt, ob ich ihm helfen könne, eine Unterkunft zu finden. Ich sage ihm, dass wir ihm nur eine Notschlafstelle anbieten können, ein einfacher Raum mit Bett und Tisch, Waschbecken, Toilette und Heizung. Vor allem aber mit einer eigenen, abschließbaren Tür. Er ist begeistert und sagt sofort zu. Welcher Druck muss einen jungen Menschen bewegen, seine Familie und Freunde zurückzulassen und sich allein auf den Weg in eine ihm völlig unbekannte Welt zu begeben?
Die Suche nach einer dauerhaften Bleibe läuft ins Leere. Am ersten Adventswochenende zeigt mir der junge Mann ein Ticket für den Bus nach Norwegen. Dort soll es einfacher sein, weil es weniger Flüchtlinge gibt. Er räumt das Notquartier und bedankt sich für die Herberge und die freundlichen Menschen, die er kennengelernt habe. Mich bewegt der Abschied sehr. Durch die Begegnung habe ich einmal mehr begriffen, was wir an Weihnachten feiern: Gott will uns die Augen öffnen für die Wirklichkeit dieser Welt. Und ein großer Teil dieser Wirklichkeit heißt Flucht. Flucht vor Gewalt, vor Zerstörung, vor Missbrauch – auch Flucht vor der eigenen inneren Leere. In der Begegnung mit diesem jungen Menschen und seiner Geschichte, mit seinen Hoffnungen und seiner Energie habe ich selbst mehr von Weihnachten erlebt als mit einem noch so hohen Tannenbaum. Bethlehem kann manchmal ganz nah sein.
Reinhard Bürger, Dortmund
Eine vergegenwärtigte Szene des „Barmherzigen Samariters“ führte 1981 dazu, dass ich die Art und Weise meines Feierns von Weihnachten grundlegend in Frage stellte. Obwohl wir in der Familie nie sonderlich üppig gefeiert hatten und liturgisch die Menschwerdung Jesu Christi einen wichtigen Stellenwert hatte, stand für mich in jenem Jahr ausschließlich die Frage im Raum, wie ich unter dem Anspruch dieses Festes und angesichts der Hinwendung Jesu zu den Armen und den Menschen am Rande der Gesellschaft vor mir selbst glaubwürdig christlich leben könnte. Schließlich kam mir am Zweiten Weihnachtstag auf dem Weg zur Abendmesse in der Franziskanerkirche der Gedanke, dass es ja Menschen gibt, die ins Kloster gehen, um die Nachfolge Christi in ihrem Leben Gestalt werden zu lassen. Ob das nicht auch für mich eine Möglichkeit sein könnte? Mit dieser Frage war ich gewissermaßen auf die Spur gesetzt. Ein halbes Jahr später bin ich ins Michaelskloster der Augustiner Chorfrauen eingetreten. Diese Weihnacht ist mir nun nicht nur in Erinnerung geblieben, sondern prägt mein Menschsein.
Sr. M. Ancilla Ernstberger, Paderborn
Mein Onkel Osvaldo, der mit meiner Mutter in Zürich geboren und aufgewachsen ist und die italienische Staatsbürgerschaft behielt, musste beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges als Alpino-Soldat an die Front. Seine Eltern, die um die Jahrhundertwende von Italien in die Schweiz emigrierten, ermahnten ihn, seiner Vaterlandspflicht nachzukommen und dem Aufgebot Folge zu leisten. Später erzählte er uns Kindern, wie er im eiskalten Winter dank Heu und Stroh in den Futterkrippen der leerstehenden Ställe und Berghütten übernachten und überleben konnte. Für Weihnachten schenkte er unserer Familie eine Krippe mit Maria, Josef und dem Jesuskind mit viel Heu und Stroh. Diese Weihnachtskrippe hat uns inzwischen über drei Generationen hinweg den Mittelpunkt des christlichen Glaubens vermittelt, dass in jedem neugeborenen Kind das Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen offenbar wird. Meine Eltern brauchten keine Erklärungen, um den Sinn der Weihnachtserzählung zu verstehen. Uns Kindern genügte die Faszination der Krippe mit dem Jesuskind im Heu und Stroh, das Licht, das die Familie mit Maria und Josef und den Hirten umstrahlte.
Mario Osvaldo Crola, Schaffhausen
Weihnachten 1944 ist mir in meinen 96 Lebensjahren besonders in Erinnerung geblieben: Ich war Vormann in einer „Reichsarbeitsdienstabteilung im Wehrmachtseinsatz“. Am frühen Heiligen Abend waren wir zur Sonnenwendfeier gebeten. Der Abteilungsführer hielt eine Ansprache über den germanischen Ursprung des Festes, der weit vor das Christentum zurückgehe. Wenn sich nun das Sonnenlicht auch in diesem Jahr wieder wende, dann brächte das mit Sicherheit auch eine glorreiche Wende im Kriegsgeschehen. Er endete mit einem Treuebekenntnis an den „Führer“. Umrahmt wurde alles durch einschlägige Texte und Lieder.
Ein Vormann hatte die Initiative ergriffen, wenige Kameraden für eine geheime Weihnachtsfeier zu gewinnen. So zogen wir wenigen in der Heiligen Nacht, als die anderen schliefen, den Berg hinauf in einen Stall auf der Weide oberhalb des Lagers. Ein Bild der Heiligen Familie hefteten wir an die Bretterwand und jeder zündete eine Kerze an. Wir hörten die Geschichte von der Geburt Jesu nach Lukas, beteten weihnachtliche Texte aus dem Stundenbuch und sangen verhalten Weihnachtslieder. Alles bekam für uns an diesem Ort einen besonderen Stellenwert. Anschließend beseitigten wir alle Spuren und schlichen ins Lager zurück.
Olaf Wagner, Essen
Auch in Oberschlesien war der Krieg „angekommen“. Wir hatten seit September 1944 keinen Schulunterricht mehr, da unsere Schule als Lazarett für die Verwundeten der Ostfront benötigt wurde. Wir Schüler fanden das natürlich toll. So verbrachten wir die Zeit mit Schlittenfahren, Schneeballschlachten und Schlittschuhlaufen, denn der Winter 1944 hat außerordentlich früh begonnen und er war sehr streng. Wenn wir Kinder dann blaugefroren nachhause kamen, roch es im Haus wunderbar nach Pfefferkuchen (schlesische Lebkuchen), die meine Mutter in großen Mengen gebacken hatte. Die Bescherung am Heiligen Abend wurde besonders feierlich begangen. Der Christbaum stand im Esszimmer, das nur an besonderen Festtagen benutzt wurde. Ich glaube, unsere Eltern wollten uns eine besondere Freude machen, denn sie wussten, dass es das letzte Weihnachtsfest in unserer schlesischen Heimat war.
Dagmar Bayer, München
Tief in Erinnerung ist mir der Heilige Abend 1996. Am Nachmittag habe ich im Hof des Hochsicherheitsgefängnisses in Lima / Peru mit einer Gruppe inhaftierter Frauen Gottesdienst gefeiert. Es war ein Entgegenkommen des Gefängnisdirektors, das eigentlich geheim bleiben sollte. Der Grund dafür war, dass wenige Tage zuvor in der Residenz des japanischen Botschafters Diplomaten aus verschiedenen Ländern als Geisel genommen worden waren. Damit sollten Gesinnungsgenossen in den Gefängnissen freigepresst werden. Es war eine angespannte Lage, die bis in den April des folgenden Jahres andauerte. Doch auch in einer solchen Situation wird es Weihnachten – es hängt nicht an den äußeren Umständen.
P. Herbert Gimpl, Nürnberg
Vor Jahren saß ich mit meinen beiden Töchtern an Heiligabend in Erwartung des Familiengottesdienstes in der Kirche. Ich blickte nach hinten, um zu schauen, ob der Chor schon da war. Und wen sah ich auf der Orgelbühne? Meine Eltern, die fröhlich von oben winkten. Ein Besuch meiner damals schon betagten Eltern war keine Selbstverständlichkeit, zumal sie von weiter weg anreisen mussten. Meine Töchter und ich freuten uns riesig über den spontanen Besuch. Nur mühsam konnten wir die Spannung aushalten, bis wir uns nach der Messe in die Arme schließen konnten. Meinen Mann und unseren Sohn überraschten wir zuhause mit den Worten: „Wir haben Maria und Josef aus der Kirche mitgebracht.“
Birgit Lensing-Kruse, Havixbeck
Meine älteste Erinnerung an Weihnachten stammt aus dem Jahr 1954 oder 1955: Nach dem Besuch der Christmette am frühen Morgen ging es mit den Eltern und vielen Geschwistern – noch vor der Bescherung – zum Frühstück in die warme, mit Kerzen feierlich erleuchtete Essküche. Zum Brot gab es statt Margarine gute Butter und statt einfacher Marmelade teuren Aufschnitt. Und das Beste: Wir durften die Schnitten ganzseitig belegen, mussten sie also nicht in der Hälfte zusammenklappen. Weihnachten machte es möglich.
Johannes M. Führt, Hagen
Bis gestern hätte ich Ihnen keinen einzelnen Weihnachtsmoment nennen können, sondern meine Erinnerungen aufgeschrieben, zum Beispiel an die stillen Stunden am 23. oder 24. Dezember, während derer ich dem Küster des Xantener Domes geholfen habe, die Kirche weihnachtlich herzurichten. Dazu gehörte, Tannenbäume aufzustellen und zu schmücken, die Krippe aufzubauen, den Adventskranz abzulassen und am frühen Nachmittag mit den handgezogenen Glocken das Fest buchstäblich einzuläuten.
Wie gesagt, bis gestern standen solche Erinnerungen im Vordergrund. Doch dann hat sich ein Weihnachtsmoment ereignet. Meine Frau liegt seit einer Woche in der Klinik. Gestern, am achten Tag, ist sie erstmals so weit bei Bewusstsein gewesen, dass wieder Kommunikation möglich war, Nicken, Kopfschütteln, Händedruck. Seitdem ist Hoffnung nicht nur ein abstraktes Konzept, sondern hat wieder einen handfesten Grund.
Christoph Holzapfel, Swisttal