Im Moment fliegen einem vatikanische Stoppschilder sowie mediale Abrechnungen mit dem deutschen Synodalen Weg nur so um die Ohren. Es gäbe zu all den eilfertigen Einlassungen eine Menge zu sagen, ich möchte mich jedoch auf einen Aspekt konzentrieren: Seit Jahren wird dem – durch die MHG-Studie initiierten – Synodalen Weg vonseiten bestimmter katholischer Kreise und jüngst wieder von Kardinal Schönborn das „völlige Fehlen des Themas Evangelisierung“ vorgeworfen. Häufig unscharf und engführend in der Begriffsverwendung wird ein künstlicher Gegensatz zwischen der glaubensenthusiastischen Evangelisierung und dem vermeintlich ungeistlich-strukturfixierten deutschen Reformweg erzeugt.
Vielleicht sollte man die aktuellen Anfechtungen einmal zum Anlass nehmen, um den Begriff der Evangelisierung etwas genauer zu betrachten. Dabei will ich gerne Schönborns Empfehlung Folge leisten und in die „bestbewährteste Compliance, die es überhaupt gibt: das Evangelium“ blicken: Hier finden wir Jesu heilsame und befreiende Botschaft von Glaube, Hoffnung und Liebe sowie Zeugnisse seiner besonderen Zuwendung zu den Marginalisierten, Verwundeten und Schwachen, aber auch seine Kritik an menschenfeindlich gewordenen Glaubenssätzen und missbräuchlichen Machtformen. Im Markus-evangelium schärft er deshalb seinen Anhängern ein: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein“ (Mk 10,42–43).
Da es im Katholischen opportun ist, zusätzlich das eine oder andere apo-stolische Schreiben zu konsultieren, empfehle ich die Lektüre von Evangelii Nuntiandi von 1975. Darin erinnert Papst Paul VI. an die „reiche, vielschichtige und dynamische Wirklichkeit der Evangelisierung“ und ruft zur Verkündigung der Reich-Gottes-Botschaft, dem Einsatz für Marginalisierte, zu Solidarität mit den Schwachen sowie zur inneren Umkehr auf. Mit seiner Forderung wendet er sich – ganz im Geiste des Zweiten Vatikanums – jedoch besonders auch an seine Glaubensgemeinschaft selbst. Ihm schwebt eine Kirche vor, „die sich durch eine beständige Bekehrung und Erneuerung selbst evangelisiert“. Sogar die Strukturfrage findet in seinem Schreiben Erwähnung: „Die Kirche erachtet es gewiss als bedeutend und dringlich, Strukturen zu schaffen, die menschlicher und gerechter sind, die Rechte der Person mehr achten, weniger beengend und unterdrückend sind.“
Ist es angesichts dieser Quellen angemessen, dem deutschen Synodalen Weg und Rat den Willen und das Potenzial zur Evangelisierung abzusprechen? Wohl kaum! Vielmehr müsste sich die Weltsynode im Gegenzug anfragen lassen, ob sie dem „Drama unserer Zeitepoche“ – der Missbrauchskrise und den Leidenszeugnissen der Betroffenen – genügend Raum, Zuwendung und Dringlichkeit zukommen lässt? Eher nicht!
Es gibt also zahlreiche Gründe, wa-rum man aufhören sollte, die Evangelisierung pauschal einzuzäunen, zu instrumentalisieren oder anderen Menschen abzusprechen. Stattdessen sollte man ihren Facettenreichtum, ihre Dynamik, ihre stete Erneuerungsbedürftigkeit und ihre Koppelung an die jeweiligen „Zeichen der Zeit“ anerkennen und würdigen und möglichst viele dieser Aspekte im eigenen Leben und Tun verwirklichen – auf dass die Frohe Botschaft in Zukunft wieder glaubwürdiger, heilswirksamer und erhellender in die Welt ausstrahlen kann.