Jüdinnen und Juden sind die älteren Schwestern und Brüder von Christinnen und Christen. Das ist die Kernbotschaft des tiefschürfenden, wertschätzenden Dialogs zwischen Toni Faber und Danielle Spera. In ihrem gemeinsamen Gesprächsband widmen sich der Dompfarrer von St. Stephan in Wien und die ehemalige Direktorin des Jüdischen Museums Wien sowie langjährige Moderatorin Glauben und Gottesdienst sowie der wechselvollen Geschichte von Juden und Christen. Gemeinsames zwischen Judentum und Christentum sehen, nicht das Trennende, ist ein Anliegen des Autoren-Duos. Der christliche Gauben lässt sich ohne jüdische Wurzeln nicht verstehen. „Wir wären eine amputierte Religion ohne das Judentum“, so Faber. Auch Spera betont: „Das Judentum kommt ohne das Christentum aus, das Christentum aber nicht ohne das Judentum.“ Als Tochter einer katholischen Mutter und eines jüdischen Vaters wurde sie in Wien geboren und getauft, konvertierte aber schließlich vom christlichen zum jüdischen Glauben.
Das Christentum hat vieles aus dem jüdischen Ursprung verändert. Der bedeutendste Unterschied ist natürlich der Glaube an Jesus. Doch dieser lebte selbst ein jüdisches Leben, kannte die Rituale, hielt das Gesetz ein, ging mit seinen Eltern in den Tempel, kannte den Tanach, den die Christen zum Alten Testament machten.„Es wird in der Katholischen Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil an jedem Sonntag in der ersten Lesung aus dem Ersten Testament vorgetragen und in der zweiten Lesung dann aus den paulinischen Briefen oder der Apostelgeschichte“, so Faber. Der christliche Gottesdienst hat viele jüdische Elemente übernommen, wie den Segen über Brot und Wein oder die Psalmen. Die Akklamationsformel „Amen“ ist eine christlich-jüdische Gemeinsamkeit.
Fabers und Speras Gespräch ist ein Austausch zwischen Glaubensgeschwistern. „Die Partnerschaft, der Dialog zwischen unseren beiden Religionen, ist in unserem Leben immanent“, betonen beide in ihrem Vorwort. Mit ihrem Buch wollen sie dazu beitragen, „dass Menschen aufeinander zugehen können und unsere gemeinsamen Wurzeln als Chance für ein besseres Zusammenleben wahrnehmen“. Gleichzeitig beklagen sie das geringe Wissen über das Judentum und seine Geschichte in der breiten Bevölkerung. Das ist besonders problematisch, weil die Beziehung zwischen Juden und Christen durchaus belastet ist. „So oft haben Christen durch die Jahrhunderte hindurch zur Judenverfolgung beigetragen und dem nicht Einhalt geboten, sondern im Gegenteil dazu noch aufgehetzt“, so Faber. Jahrhundertelang führte der falsche Vorwurf der Christen, Juden hätten den Tod von Jesus zu verantworten, zu einem von Hass vergifteten Verhältnis. Völlig missachtet wurde dabei, dass es sich beim Tod Jesu in erster Linie um einen römischen Justizmord handelte.
Das Buch wurde vor dem 7. Oktober 2023 geschrieben, jenem Tag, an dem die Hamas mit ihrem geballten, brutalen Terror mehr Juden tötete als an jedem anderen Tag nach dem Zweiten Weltkrieg. Faber machte sich zuletzt immer wieder in Interviews mit österreichischen Medien dafür stark, dass der Religionsdialog nicht aufgegeben werde. Auch wenn eine Wunde aufgerissen wurde, die wohl nie verheilen wird. „Wie ein jüngerer Bruder“ sollten sich Christen „immer neu darum bemühen, die jüdischen Wurzeln unserer älteren Schwestern und Brüder im Glauben zu schätzen und uns von allen Formen des Antisemitismus befreien.“