Vom Nil zum Jordan

Als am 19. Februar dieses Jahres Jan Assmann verstarb, würdigten die Nachrufe einen über die universitären Grenzen hinaus bekannt gewordenen Kulturwissenschaftler und einen der letzten „öffentlichen Intellektuellen“, der sich in Debatten eingemischt und mit seinem Konzept des „kulturellen Gedächtnisses“ eine kreative Spur in der Erforschung der menschlichen Kulturgeschichte hinterlassen hat. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass beinahe bei allen Themen, zu denen Assmann sich äußerte, sei es unsere Kulturgeschichte, sei es die Entstehung und Bedeutung des Monotheismus, immer seine eigentliche Profession im Hintergrund stand: die des Ägyptologen. Vom Nil her rührt Assmanns Denken, erst von da aus erstreckt es sich zum Jordan und dann an Donau und Mosel. Die jüngst veröffentlichte 3. Auflage seines Klassikers Tod und Jenseits im Alten Ägypten ist eine wunderbare Gelegenheit, diesen „ursprünglichen“ Assmann neu zu entdecken.

Kaum eine alte Kultur übt auf uns Heutige eine so starke Faszination aus und ist doch gleichzeitig so fremd wie das alte Ägypten. Unüberwindbar baut sich vor dem geistigen Auge die Pyramide auf, also ein Monument des Totenkultes. Für uns, die wir den Tod fast vollständig externalisiert haben, ein Affront. Der große österreichische Essayist Egon Friedell bescheinigte Ägypten noch, eigentlich keine Gegenwart zu kennen und nur in der Geschichte und der Perspektive des Todes gelebt zu haben. Assmann rückt diese verkürzten Ansichten gerade. Ausgehend von einem reichen Textbestand entwirft er das Bild einer Gesellschaft, die den Tod als stets präsente Dimension des Lebens integrierte und damit ein einzigartiges Konzept des Weiterlebens nach dem Ableben entwarf, als am benachbarten Jordan die Toten der Israeliten noch ein schummeriges, von Gott getrenntes Schattenreich erwartete. Assmann lässt diese reiche Welt, die am Anfang unserer eigenen Kulturgeschichte steht, wieder lebendig werden, und er tut dies mit einer nicht immer einfachen, aber bildgewaltigen Sprache, die den Leser immer tiefer in die Geheimnisse der Pyramide eindringen lässt. Was erwartet uns wohl hinter der nächsten Falltür? Wie wird Anubis über unsere Seele entscheiden? Auf diesen 600 Seiten lässt es sich entdecken.

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Assmann, Jan

TOD UND JENSEITS IM ALTEN ÄGYPTEN3. Auflage

C. H. Beck, München 2023, 624 Seiten, 34 €

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