Wo steht die Ökumene heute? Wo in fünf Jahren? Eine neue Studie dazu trägt den programmatischen Titel: Mehr Sichtbarkeit in der Einheit und mehr Versöhnung in der Verschiedenheit. Der Komparativ ist entscheidend: „Mehr“ – nicht „Weniger“. Die selbstverschuldete Glaubwürdigkeitskrise, in der beide hierzulande immer noch ziemlich großen Kirchen stehen, lässt sich nicht leugnen. Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung hat gezeigt, wie viele Menschen den Kirchen schon den Rücken gekehrt haben oder auf dem Sprung stehen, sie zu verlassen. Und dass nicht nur die katholische, sondern auch die evangelische Kirche ein systemisches Missbrauchsproblem hat, lässt sich nicht leugnen.
Deshalb ist Demut angesagt. Aber nicht Depression, sondern Nüchternheit und Wachsamkeit. An der Basis ist die Ökumene oft schon viel weiter als in den Kirchenleitungen – aber es gibt auch auf beiden Seiten Profilneurotiker, die eher an konfessioneller Identität als an ökumenischer Solidarität interessiert sind. Deshalb ist es hoch an der Zeit, ein gemeinsames Zeichen zu setzen.
„Sichtbare Einheit“ ist der eine Pol, „versöhnte Verschiedenheit“ der andere. Der erste wird oft auf katholischer Seite betont – gleich mit dem Bild des Papstes und des Bischofs vor Augen, der zweite auf evangelischer Seite – mit den starken protestantischen Bewegungen im Blick, die Kirchengemeinschaft erklären, auch wenn es keine volle Bekenntnisgemeinschaft gibt. 2017, bei den Gedenkfeiern zu 500 Jahren Reformation, sind beide Pole erstmals so miteinander verbunden worden, dass eine positive Spannung erzeugt wird.
Was das "Gemeinsame Wort" stark macht
Diese Verbindung macht das neue „Gemeinsame Wort“ der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland stark. Es ist aus dem „Kontaktgesprächskreis“ hervorgegangen, einem gemeinsamen Beratungsgremium, das regelmäßig tagt, um Abstimmungen bei kirchlichen und politischen Fragen anzubahnen.
Die Pointe der Studie markiert ihr Untertitel: Zu den Chancen einer prozessorientierten Ökumene. In dieser Leitidee kommt ein ökumenischer Lerneffekt zum Ausdruck: Die Ökumene hat sich intensiv mit den letzten Zielen befasst – aber sie kommt damit nicht an ein Ende. Sie darf auch nicht übersehen, wie viel an Einheit bereits auf dem Weg sichtbar wird und wie viele Gegensätze schon versöhnt worden sind. Ziele bleiben wichtig – aber sie sollten nicht utopisch, sondern realistisch sein. Wege eröffnen neue Blicke – aber sie sind nicht selbst schon das Ziel, sondern führen in neue Landschaften des Lebens, in denen der Glaube gefragt ist.
Das „Gemeinsame Wort“ ermutigt, diese Wege zu gehen: In der Verkündigung des Glaubens braucht es die Ökumene, um nicht mit gespaltener Zunge zu reden; im gemeinsamen Religionsunterricht gelingt Bildungsarbeit besser. Im Dienst an und mit den Armen, in der kategorialen Seelsorge, in politischen Interventionen gilt es, so viel Gemeinsamkeit zu organisieren, wie es nur geht, und nicht aus Differenzen in einigen wenigen Grenzfragen sofort Grundsatzkonflikte abzuleiten. „Liturgische Gastfreundschaft“ ist ein Leitwort der Prozess-Ökumene. Viele Gemeinden praktizieren sie. Dass sie Vorposten einer Kirche der Zukunft sind, sagt das neue Papier: Mehr Glaube, mehr Liebe, mehr Hoffnung – das ist die Zukunft der Kirche.