Es ist ein düsterer Jahrestag: Diesen Monat jährt sich der Völkermord in Ruanda zum 30. Mal. Anfang April 1994 wurde das Flugzeug von Präsident Juvénal Habyarimana abgeschossen – und in den nächsten Tagen brach eine beispiellose Welle der Gewalt über das Land herein. Hunderttausende Angehörige der Tutsi-Minderheit wurden von Hutu-Milizen erschossen, mit Macheten oder Knüppeln erschlagen, in ihren Häusern verbrannt oder in Massengräbern zum Sterben zurückgelassen. Mehrere tausend vor Ort stationierte UN-Blauhelmsoldaten sahen weitgehend tatenlos zu, obwohl sich die Gewalt schon seit Monaten angekündigt hatte.
Rund 100 Tage dauerte das Morden, das etwa drei Vietel der Tutsi-Minderheit das Leben kostete. Zurück blieben eine traumatisierte Generation, zerrissene Familien und Wunden, die bis heute nicht geheilt sind. Inzwischen haben mehrere westliche Politiker zähneknirschend zugegeben, dass man sich falsch verhalten, dem Morden zu lange zugeschaut habe. US-Präsidenten haben sich entschuldigt, damals nicht eingegriffen zu haben. Präsident Emmanuel Macron berief eine Historikerkommission ein, die die unrühmliche Rolle Frankreichs in dem Völkermord untersuchen sollte – das Land stand bis zuletzt an der Seite des rassistischen Hutu-Präsidenten Juvénal Habyarimana. Er hoffe auf Vergebung, sagte Macron nach Bekanntgabe der Untersuchungsergebnisse. Auch Papst Franziskus hat die Angehörigen der Opfer inzwischen um Verzeihung gebeten. Viele Menschen hatten in Kirchen Schutz gesucht und waren teilweise von Priestern oder Ordensleuten an die Milizen ausgeliefert worden.
Es ist gut und richtig, die eigene Rolle bei den Massakern zu überdenken, eigene Verfehlungen einzugestehen und nichts zu beschönigen. Doch sich allzu öffentlich für 30 Jahre alte Fehler zu entschuldigen, kann auch eine Form sein, die Weste heute weiß zu halten. Es ist vergleichsweise einfach, dafür um Verzeihung zu bitten, dass die Vorgänger vor drei Jahrzehnten verpasst haben, das Richtige zu tun. Und was dabei mitschwingt ist: Heute würde das nicht mehr passieren. Die Wahrheit sieht anders aus. Im Herzen von Afrika, besonders im Gebiet des Kongo, tobt seit Jahrzehnten ein Krieg, der inzwischen mehr Opfer gefordert hat als der Völkermord in Ruanda. Es ist ein „afrikanischer Weltkrieg“, wie die ZEIT schon vor 20 Jahren titelte. Ein Krieg mit zahllosen verfeindeten Fronten und teils unübersichtlichen Verläufen. Und es ist ein Krieg, der in Europa kaum jemanden interessiert. Zuletzt wurde die (katholische) Welt auf den Konflikt aufmerksam, als Papst Franziskus seine geplante Kongo-Reise absagen musste. Es sei zu unsicher dort, vermeldeten die Nachrichtenportale knapp, und gingen dann zum Tagesgeschäft über.
Dabei würde es sich lohnen, einmal genau hinzuschauen – auch weil der Kongo mit seinen Bodenschätzen Spielball mächtiger Wirtschaftsinteressen und Opfer von Raubbau ist. Weil im Windschatten des Krieges ein Land geplündert wird für die seltenen Erden, die wir in Europa für unsere Technik brauchen. Gerade wurden wieder Blauhelmtruppen aus der Region abgezogen. Vielleicht werden wir uns in ein paar Jahrzehnten, zum nächsten Jahrestag, fragen, warum wir nicht genauer hingeschaut haben. Mehr getan haben, um Unschuldige zu beschützen. Dann können wir immer noch um Entschuldigung bitten, für alles andere wird es zu spät sein.