In den Sechzigerjahren fegt die Kulturrevolution mit grausamer Härte durch China. Wer im Verdacht steht, gegen die Ideale der großen kommunistischen Revolution zu handeln, wird radikal bestraft. So ergeht es auch dem Physikprofessor Ye Zhetai, als herauskommt, dass er weiterhin das Urknall-Modell lehrt – „die reaktionärste aller wissenschaftlichen Theorien“. Immerhin lässt diese Theorie Raum für den Gedanken, dass es einen Schöpfer geben könnte, der den Urknall angestoßen hat. Für die radikalen Atheisten der Roten Garden ist das Grund genug für ein Todesurteil: Professor Ye Zhetai wird festgenommen und öffentlich zu Tode geprügelt. Diese fiktive, dramatische Szene steht direkt am Anfang des Hörspiels Die drei Sonnen, das auf dem gleichnamigen Roman des chinesischen Autors Liu Cixin basiert. Und es ist wohl kein Zufall, dass diese Geschichte, in der es bald um Außerirdische, Raumschiffe und Supercomputer von fremden Welten gehen wird, mit der Frage nach Gott beginnt.
Es beginnt mit der Frage nach Gott
Jahre später ist es Ye Wenjie, die Tochter des getöteten Physikprofessors, der es als erster Mensch gelingt, Kontakt mit einer außerirdischen Zivilisation aufzunehmen. Sie ist inzwischen Astrophysikerin und sendet für ein chinesisches Forschungsprogramm Nachrichten in die Tiefen des Alls. Die Wesen, die ihr antworten, sind hochinteressiert an der Erde – und schicken direkt eine Raumschiff-Flotte auf den Weg Richtung Sonnensystem. Während die Regierungen der Welt Pläne schmieden, um sich auf einen möglichen Angriff vorzubereiten, wächst die Zahl von „Adventisten“, die dem Ankommen der Aliens entgegenfiebern. Bis dahin wird es aber noch etwas dauern: Obwohl die Außerirdischen aus der direkten kosmischen Nachbarschaft von Alpha Centauri stammen, werden ihre Raumschiffe 400 Jahre brauchen, bis sie auf der Erde ankommen. Die Geschichte bleibt hier sehr wissenschaftlich konsequent – Lichtgeschwindigkeit ist auch für hochentwickelte Weltraum-Zivilisationen eine unüberwindbare Hürde.
Doch während die Flotte noch unterwegs ist, können die Außerirdischen mithilfe ihrer Supercomputer bereits haarklein aufzeichnen und überwachen, was die Menschen auf der Erde so treiben. „Sie spürten ein Paar allgegenwärtige Augen, die sie beobachteten“, heißt es im Hörspiel. „Dieses Gefühl würde sie jetzt ihr ganzes Leben lang verfolgen.“ So sind die Aliens, die für ihre Anhänger zu messianischen Heilsbringern werden, auch eine Reflexion über das düstere Gottesbild des strafenden Richters und Allüberwachers, das lange unkritisch weitergegeben wurde. Gleichzeitig kann man die Passage auch als Kritik des chinesischen Autors an der umfassenden Überwachung in seinem Heimatland verstehen, die seit Erscheinen des Romans 2008 nur noch umfassender und engmaschiger geworden ist.
Damals wurde das Buch weit über den Kreis der klassischen Science-Fiction-Leser hinaus zum Erfolg. Nachdem sich Prominente wie Barack Obama und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg als Fans outeten, wurde es auch im Westen zum Bestseller. Inzwischen bietet der Streaming-Riese Netflix eine Serienadaption, die die Handlung aus China nach England verlegt, den Themen des Originals aber sehr treu bleibt. Dem WDR-Hörspiel gelingt es gut, das 600-Seiten-Buch auf rund sechs Stunden Hörzeit herunterzudampfen und trotzdem die großen Menschheitsfragen anzustoßen, die die Vorlage zum Welterfolg gemacht haben. „Die Wissenschaft kann weder beweisen noch widerlegen, dass es Gott gibt“, sagt Physikprofessor Ye Zhetai, bevor er von den Gardisten getötet wird. Das Hörbuch beweist, dass es sich trotzdem lohnen kann, mit wissenschaftlichen Science-Fiction-Begriffen über theologische Fragen nachzudenken.
DIE DREI SONNEN
Deutschland; Regie: Martin Zylka; Länge: 12 Folgen von je ca. 30 Min.
Das Hörspiel sowie die Fortsetzungen „Der dunkle Wald“ und „Jenseits der Zeit“ können bis März 2025 kostenlos in der ARD Audiothek gehört werden.