Sr. Philippa Rath: Es stehen so viele derzeit auf der Kippe, nicht wenige haben unsere Kirche schon verlassen oder sind zumindest innerlich deutlich auf Distanz gegangen. In dieser Situation möchte ich Hoffnungszeichen setzen und auch persönlich davon erzählen, wie sehr mich die Hoffnung durch mein Leben begleitet und getragen hat, wie sehr sie mir geholfen hat, Grenzen zu übersteigen und Mauern zu überwinden. Ich halte die Hoffnung tatsächlich für die stärkste Kraft in meinem Leben.
Ich spüre, wie sehr diese Botschaft bei den Menschen ankommt. Menschen, die mir sagen: Jetzt kann ich wieder ein Stück weitergehen, ohne abzustürzen. Jetzt habe ich wieder neue Kraft, um in der Kirche zu bleiben. Jetzt habe ich wieder Mut, mich weiter für Reformen einzusetzen.
Konkret bezieht sich meine Hoffnung darauf, dass sich neue Türen ins Offene hinein auftun, in die Weite und in die Freiheit. Dass sich neue Horizonte eröffnen, die zeigen, dass Frieden und Versöhnung in der Welt und in der Gesellschaft trotz aller gegenteiligen Erfahrungen möglich sind, dass Veränderungen und Reformen, dass Einheit in Vielfalt in der Kirche trotz aller Gegenkräfte Wirklichkeit werden können. Dass wir die Kraft und den Mut erhalten, gemeinsam weiterzugehen und die nächsten Schritte unter die Füße zu nehmen.
Bei der Hoffnung geht es mir nicht um einen blinden Optimismus nach dem Motto: „Es wird schon alles gut werden“. Sie ist für mich viel mehr die treibende Kraft, die Verzweiflung und Resignation überwindet und ungeachtet aller Enttäuschung die Welt in Gang hält. In diesem Zusammenhang würde ich gerne auf unseren benediktinischen Gesang hinweisen, den wir bei der Ewigen Profess und dann jedes Jahr an unserem Professtag singen. Dort heißt es: „Nimm mich auf, o Herr, und ich werde leben, und lass mich in meiner Hoffnung niemals scheitern.“ An diese flehentliche Bitte halte ich mich. Denn wenn ich keine Hoffnung mehr habe, dann passiert auch nichts mehr. Dann blockiere ich mich selbst, dann bleibe ich stecken und entwickle keine Kraft und keine Fantasie mehr.
Burkhard Hose: Ich kann mich da gut einreihen, gerade wenn du vom gemeinsamen Weitergehen sprichst. Ich erlebe, dass sich neue Formen von Zugehörigkeit und Verbundenheit entwickelt haben. Zugehörigkeit wird immer weniger über eine formale und früher vielleicht selbstverständliche Verbundenheit mit der Kirche erfahrbar. Sondern es braucht etwas Neues: eine Zugehörigkeit zu Menschen, denen der Glaube wichtig ist und die für sich begreifen, dass sie nicht allein glauben können.
Deshalb will ich auch nicht raus aus der Kirche. Ich will nicht allein bleiben mit meinem Glauben. Und ich spüre gerade, dass es viele gibt, die nach solchen neuen Formen von Verbundensein suchen.
Ich selbst zum Beispiel fühle mich jetzt Philippa und einer immer größer werdenden Gruppe von Menschen, die sich um mehr Gerechtigkeit bemühen, zugehörig. Das ist meine Kirche. Genauso war unser gemeinsames Sichtbarwerden mit #OutInChurch für mich eine spirituelle Erfahrung. Da hat sich für mich eine neue Form von Kirche-Sein ereignet, die weit über das herkömmliche Verständnis oder über eine rein formale Mitgliedschaft hinausgeht.
Sr. Philippa Rath: Das Thema Zugehörigkeit ist für mich auch ein ganz wichtiger Punkt. Auch wenn es vielleicht für die einen jetzt fremd, für andere kitschig klingen mag: Die Kirche ist und bleibt meine Heimat, trotz allem. Ich liebe sie und ich leide oft an ihr. In ihr sind meine Wurzeln. Bei vielen Menschen, die die Kirche verlassen haben, sehe ich, wie heimatlos sie geworden sind. Sie spüren das in der Regel auch sehr bald und suchen dann nach neuen Formen, ihren Glauben zu leben.
Das Wort des Propheten Jeremia „Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben“ (Jer 29,11) ist mir in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Es war das Motto des Freiburger Katholikentages 1978, dem ersten, an dem ich teilgenommen habe. Genau das fehlt uns heute weithin. Es fehlt uns an Menschen, die Zukunft und Hoffnung schenken. So viele sind hoffnungslos, nicht nur im Blick auf die Kirche, sondern auch im Blick auf die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Meine Überzeugung ist: Es gibt immer Hoffnung. Trotz allem. Und es gibt immer eine Zukunft. Beides hält Gott für uns bereit.
Burkhard Hose: Auch an diesem Punkt gibt es offensichtlich eine Verbindung zwischen uns. Jeremia 29 ist auch für mich ein ganz wichtiger Anker geworden. Der historische Kontext ist ja, dass die Verschleppten damit hadern, dass sie im babylonischen Exil sind und nicht nach Jerusalem zurückkehren können. Der Prophet aber fordert sie auf, sich gerade in diesem Exilsdasein neu zu orientieren und einzurichten. Sie sollen gedanklich und emotional nicht zum Alten zurückkehren, sondern sich in dieser ganz anderen, zumutenden Situation gemeinsam neu erfinden. Wörtlich heißt es: „Baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Früchte...“ (Jer 29,5–7). Das sind Begriffe, die auf die Schöpfungserzählung anspielen. Mir tut dieser Text gut, weil er mich daran erinnert, dass auch wir heute ein bisschen an der Neuschöpfung des Kirche-Begriffs beteiligt sind.
Natürlich kenne auch ich Momente, in denen ich ein bisschen wehmütig an Zeiten zurückdenke, die ich früher kirchlich erlebt habe, in der Jugendarbeit zum Beispiel. Aber dann rufe ich mir in Erinnerung: Nein, jetzt geht es darum, mit diesem Schatz, mit dem, was ich in der Kirche mitbekommen habe, wirklich an einer Neuschöpfung, an etwas ganz Neuem, mitzuarbeiten.