Einsamkeit bei jungen MenschenJeder ist für sich allein

Hunderte „Freunde“ – und niemand zum Reden? Ein großer Teil der Menschen, die mit Sozialen Medien aufgewachsen sind, hat Probleme, soziale Bindungen zu finden, die auf Dauer glücklich machen. Wie die neue Technik ein sehr altes zwischenmenschliches Problem verschärft.

Keine Generation zuvor war so allumfassend vernetzt wie die heutigen jungen Erwachsenen – und keine fühlte sich so einsam. Das geht aus einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung hervor. Fast jeder zweite Befragte gab an, dass er unter Einsamkeit leide. Schlimmer waren die Werte nur in der Hochzeit der Corona-Pandemie, während Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren das Privatleben zum Erliegen brachten. Besonders in der Altersgruppe von 19 bis 22 Jahren klagen viele über fehlende Kontakte. In dem Lebensabschnitt also, in dem man das erste Mal auf eigenen Beinen steht und mit Studium, Ausbildung oder Berufseinstieg eigentlich zwangsläufig auf neue Menschen trifft, von denen viele in einer ganz ähnlichen Lebenssituation sind. Diese Vereinsamung hat Folgen – zu wenig Kontakt zu Mitmenschen kann nicht nur zur psychischen Belastung werden, sondern führt auch zu messbaren körperlichen Beschwerden. Experten sprechen inzwischen sogar von einer neuen „Volkskrankheit Einsamkeit“.

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Besonders in den letzten Jahren erleben wir ein wahres Dauerfeuer von Katastrophenmeldungen: Von der Pandemie ging es ohne Übergang zum Krieg in Europa, und über allem droht die Klimakrise. Wer in einem solchen Umfeld der ständigen Ängste erwachsen wurde und vielleicht selbst nicht mehr wirklich optimistisch in die Zukunft schauen kann, dem fällt es auch schwer, sich anderen gegenüber zu öffnen.

Gleichzeitig sind die jungen Erwachsenen die erste Generation, die von Beginn an mit Sozialen Medien aufgewachsen sind. Die meisten wissen über die Influencer in ihren Smartphones mehr als über die Menschen, neben denen sie jeden Tag in der Vorlesung sitzen. Und die perfekte social-media-Welt, in der alle lächeln und jeden Tag Außergewöhnliches erleben, ist immer nur einen Klick vom Alltag entfernt, der im Vergleich mit der eifrig kuratierten und gefilterten Bilderflut in den Sozialen Medien schnell düster und grau aussieht. Wer sich hier im Algorithmus verliert, hat schnell das Gefühl, dass alle anderen ein perfektes Leben führen, während man selbst außen vor bleibt. Das schürt unrealistische Erwartungen an sich und andere – und auch das trägt zur Einsamkeit bei.

Vielleicht ist es aber auch zu einfach, die neuen Medien allein für die Vereinsamung junger Menschen verantwortlich zu machen. All die Apps und social-media-Dienste verstärken letztendlich nur die sozialen Reflexe, die wir alle in uns tragen. Auch wer nie auf die Idee käme, ein eigenes Instagram-Profil zu führen, überlegt sich meist sehr genau, was er mit seinen Mitmenschen teilt – und was lieber nicht. Wie viel Zeit verwenden wir darauf, wie wir im Alltag wahrgenommen werden? Wer gilt nicht gern als jemand, der über allen Alltagssorgen steht? Und wie oft verkneifen wir es uns, nach Hilfe zu fragen oder eine Schwäche zuzugeben, weil wir Risse in der Fassade fürchten, die wir vor anderen aufgebaut haben?

Vielleicht lernen wir in dieser glänzenden Welt der neuen Medien gerade aufs Neue die Bedeutung der alten christlichen Wahrheit, dass derjenige Stärke beweist, der Schwäche zeigt. Und wie befreiend es sein kann, wenn man sich einem Menschen gegenüber öffnet und erkennt, dass auch der andere nicht perfekt ist.

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