Schon der Titel ist ein Volltreffer: Innehalten an Grenzen – Grenzen überwinden. Denn wenn heute etwas drängt, dann ist es sicher die Frage, ob und wie wir mit den „Grenzen des Wachstums“ fertig werden. Dazu aber bedarf es eines radikalen Innehaltens, eines Stopps unserer vita activissima. Wozu solche meditativen Zeiten der Stille jeden Tag gut sind, wird gleich zu Beginn einladend beschrieben – und auch, wie man sich am besten verhält, wenn man es im stressigen Alltag wieder einmal nicht geschafft hat, sich diese Zeiten zu gönnen.
Von der ersten Seite an spürt man, dass hier ein Erfahrener und Übender schreibt. Klug dosiert und anschaulich erzählt, läuft alles auf die zentrale These des Titels zu. So schön die beglückenden Momente beim Meditieren sind, wirklich verwandelnd sind nur die Grenzerfahrungen, die wir annehmen und zulassen lernen.
Keine Wandlung ohne Wand, gegen die man fährt, bis man hoffentlich bereit ist, es zu lassen! Fliehen wir bei Wider-Ständen, oder halten wir inne und stand? Gerade an dem, was nicht passt – nämlich in unser Vorstellungs- und Erwartungsgefüge, das Bertram Dickerhof „Idiopolis“ nennt –, entscheidet sich, ob und wie wir weiterkommen, hin zu unserem wahren Selbst und zu dem Lebensgeheimnis, das Sehnsuchtsworte wie „Sinn“, „Transzendenz“, „Gott“ unterschiedlich umkreisen. Der kreative Umgang mit Grenz(erfahrung)en ist „das Herzstück der Meditation“. Diese grundlegende Einführung ist gespickt mit ganz praktischen Hinweisen bis hin zu einem „Methodenköfferchen“ und öffnet zugleich einen weiten Horizont.
Dickerhof hat vor 20 Jahren den Ashram Jesu gegründet, bis vor kurzem mit festem Stammsitz bei Limburg und nun als mobiles Netzwerk – wie der Name sagt, ein bewusst interreligiös offenes Exerzitium. Hervorgegangen aus Jahreskursen in seinem Ashram, werden für jede Woche des Jahres zwei Meditationstexte vorgeschlagen, ein biblischer und einer aus den großen Zeugnissen der anderen Religionen, für täglich 20 Minuten Sitzen und zehn Minuten Textbetrachtung. Diese Textpaare mit ihren Resonanzen und Impulsen bilden das Zentrum dieses Buches, jeweils kundig kommentiert und für den Gesamtprozess erschlossen. So lässt sich ein Wachstumsweg mitvollziehen und Schritt für Schritt das aneignen, was zuvor grundlegend benannt wurde. Nicht zufällig stehen am Ende Stichworte wie „Erleuchtung“ und „Pfingsten“. Aber immer geht es um das Alltägliche und die Achtsamkeit im Hier und Jetzt.
Fazit: Ein überaus lohnendes Buch, welches das Zeug zum Standardwerk hat – vergleichbar mit dem Klassiker von Franz Jalics und doch ganz anders. Besonders wohltuend ist die alltagsnahe, schlichte Sprache frei von Jargon und hehren Phrasen, und damit die gediegene Darstellung ohne „spirituelle“ Höhenflüge oder exzentrische Versprechen. An keiner Stelle verheimlicht der Jesuit seine christliche Bindung. Im Gegenteil: Er bringt ausdrücklich einen trefflichen Exkurs über das Beten und Meditieren Jesu. „Die zentralen jesuanischen Anliegen Versöhnung und Vergebung erwachsen aus dem Gebet“, und dieses weitet sich in interreligiöse Sensibilität und Lernbereitschaft – dem „Grund aller Wirklichkeit“ auf der Spur, und der ist die „freilassende und selbstlose Liebe“. Dieser inhaltlichen „Botschaft“ entsprechen Ton und Übungsweg insgesamt – ganz im Sinne des Psalmverses „Friede deinen Grenzen“ (vgl. Ps 147,14). So sind wir eingeladen, endlich (!) Mitmensch und Mitgeschöpf zu werden. Denn so intim und persönlich Meditation auch ist, ihre Folgen und Früchte sind von immenser Bedeutung bis ins Politische und Soziale hinein. Wirklich eine Grundlegung.