Vorsitzender der BischofskonferenzEin Fronleichnamspriester geht weiter

Georg Bätzing steht für Reformen – weiß aber auch um kirchliche Beharrlichkeit. Ein Gesprächsbuch verortet seine Haltung biografisch.

Man kann ihn förmlich hören – jeder Satz spiegelt die löbliche Unaufgeregtheit und Bedachtsamkeit, die dem Limburger Bischof und Vorsitzenden der Deutschen Bischofkonferenz bei all seinen Äußerungen eigen ist. Das ist in Zeiten einer allzu oft lauten und schrillen Debatten(un)kultur wohltuend. Wer bei Rom ist kein Gegner indes ein revolutionäres Manifest erwartete, wird eher enttäuscht sein. Vielmehr schreitet Georg Bätzing im Gespräch mit Stefan Orth die kirchliche Gegenwartslandschaft im Blick auf die sattsam bekannten Probleme ab. Dabei positioniert er sich einmal mehr als beharrlicher Reformer – und allein diese öffentliche Haltung hat ja doch etwas Revolutionäres. Mit dieser Herkulesaufgabe sitzt er gewissermaßen zwischen allen Stühlen: Das vielfach beschworene ecclesia semper reformanda hat sich in seiner Deutungsoffenheit gründlich verhakelt und weiß sich mit inhaltlichen und strukturellen Beharrungstendenzen konfrontiert. Diese sind allerdings nicht nur systemisch von außen auferlegt, sondern auch biografisch bedingt.

Der erste von insgesamt zwölf Gesprächsgängen führt in die katholische Herkunftsprägung. Es ist die längst versinkende oder versunkene Zeit einer Volkskirche, die für so viele in bisweilen nostalgischer Verklärung prägend war. Bätzing gibt zu, er sei „im Grunde bis in die Knochen von ihr geprägt“; in diesem Zusammenhang fällt auch die Formulierung, er begreife sich als „Fronleichnamspriester“, was mit sich bringe, dass er die besondere sakramentale Struktur der katholischen Kirche bewahren wolle. Doch schon in seinen Jugendjahren wurde diese durch den Heimatpfarrer beschädigt – er war ein Missbrauchstäter. Gleichwohl war es für Bätzing von früh auf klar, dass er nichts anderes als Priester werden wollte. Er ist und blieb ein Mann der Kirche, der in Bezug auf seinen Werdegang zu Protokoll gibt, er habe im hierarchischen System nur ein einziges Mal Nein gesagt (zum Vorschlag, im römischen Germanicum zu studieren).

Nur einmal "Nein" gesagt

Hinzu kommt die theologische Prägung, die sich zunächst auch als Beharrungsfaktor ausgewirkt haben dürfte: Hans Urs von Balthasar und sein imposantes Œuvre sind eher binnenkirchlich plausibel, als dass sie an die säkulare Welt anschlussfähig wären. Ob er sich theologisch reformiert hätte, wie Bätzing vermutet, ist unentscheidbar und wird von den Gralshütern der Theologie Hans Urs von Balthasars inzwischen mit Nachdruck bestritten. Fakt ist: Der Fronleichnamspriester hat sich weiterentwickelt und bezieht sich hier auf eine „Autonomie des eigenen Denkens“. Doch zunächst bestimmte das kirchliche System über den weiteren Werdegang, wie er so oft bei späteren Bischöfen anzutreffen ist: erst Regens im Trierer Priesterseminar, schließlich Generalvikar – ein Mann der Kirche.

„Eine katholische Kirche ohne Priester ist undenkbar“, so Bätzing. Ebenso steht für ihn aber auch außer Frage, dass ein sakral überhöhtes Amtsverständnis zu verabschieden ist. Und dass es zu einem wirklich reformierten Priesterbild noch ein weiter Weg ist, der wegen diverser Stoppschilder seit Jahrzehnten de facto stagniert. Die Fragen in Bezug auf den Zölibat und die Frauenordination liegen nicht erst seit gestern unbeantwortet auf dem Tisch, und die mittlerweile verheerende Personalsituation ist wahrlich kein überraschendes Verhängnis, sondern seit langem absehbar.

Nicht ohne Groll stellt Bätzing fest, dass es die frühere Bischofsgeneration versäumt habe, diese „Fragen theologisch und kirchenpolitisch voranzubringen“. Dieser Groll ist umso verständlicher, da die immer wieder eingeforderten theologischen Klärungen längst erfolgt sind und inzwischen viele Regalmeter füllen. Wenn Bätzing in den Chor derer einstimmt, die beteuern, man wolle und werde in Deutschland etwa in Bezug auf die Frauenfrage keinen Sonderweg gehen, da sie „nur weltkirchlich entschieden werden kann“, markiert dies einen Kernpunkt der systemischen Selbstblockade. Glaubwürdige Beharrlichkeit scheint ihm die einzige Option zu sein in Verbindung mit der These, jetzt habe „sich das Tor der Geschichte wegen des Skandals des Missbrauchs noch einmal geöffnet, sodass wir gemeinsam angehen können, was schon lange drängt“. Dass es Bätzing damit Ernst ist, steht außer Frage, die Türöffnerfunktion kam indes nicht den Hierarchen zu – es war der Druck von unten.

Als Bischof von Limburg fand er eine schwer gebeutelte Situation vor; nur durch verstärkte synodale Strukturen konnte es gelingen, diese einigermaßen zu befrieden. Breit gefächerte Beratung des Bischofs ist bei allen Entscheidungen unverzichtbar, und hier kam dem Bistum Limburg durchaus eine Vorreiterrolle zu. „Ich habe viel lernen müssen, als ich nach Limburg kam“, sagt Bätzing und bekräftigt inzwischen, dass es bischöfliche Autorität nicht ohne überzeugende Argumente geben kann. Die bischöfliche Verfasstheit der Kirche zeitigt allerdings nach wie vor ein sich durchhaltendes systemisches Manko, denn Beratung ist das eine, demokratisch Entscheiden das andere.

Dass kirchliche Reformprozesse auch eine geistliche Dimension haben, sei zugestanden, doch steht hier immer die Gefahr im Raum, dass dies als spirituelle Bremse fungieren kann – theologische und kirchliche Konflikte brauchen eine sachbezogene Auseinandersetzung. Historische Kenntnisse belegen, dass die „Konversation im Heiligen Geist“ in der Regel wenig einstimmig war. „Man muss sich nur einmal die Konzilsgeschichte anschauen. Streit ist doch nichts Schlechtes – überhaupt nicht. Nichts bewegen ist keine Alternative, und kein Streit ist auch keine Alternative“, bekennt der Vorsitzende der Deutschen Bischofkonferenz. Zumindest dort ist Streit mittlerweile alternativlos, und Bätzing als Moderator durchaus gefordert, zeigen sich doch auch hier all jene Verwerfungslinien, die die katholische Kirche zunehmend prägen. Man will allenthalben voran – nur wohin soll die Reise gehen?

Der Missbrauchsskandal, der die katholische Welt erschütterte, hat auch Bätzing bis tief in seine kirchlich geprägten Knochen getroffen. Es waren nicht die Hierarchen, die die sprichwörtlichen „Brüder im Nebel“ und ihre Taten ans Tageslicht brachten, sondern die mediale Öffentlichkeit. Mehr noch: Ohne diesen Schock, hätte „sich in der katholischen Kirche noch lange nichts bewegt“, wie Bätzing erkennt. Angesichts der immer wieder vertagten und nun neu entfachten Streithemen war die Entscheidung, sich auf den Synodalen Weg zu begeben, nur folgerichtig. Bei allen Geburtsfehlern gab es dazu keine Alternative. Nun liegen (einmal mehr) alle unerledigten Reformthemen in angeschärfter Form auf dem Tisch – und auch die konträren Positionen machten sich vernehmbar.

Was wird sich auf Dauer durchsetzen?

Auch hier beharrt Bätzing darauf, dass sich die besseren Argumente zumindest in der longue durée durchsetzen werden, wobei man durchaus die Frage stellen kann, wie viel Zeit der katholischen Kirche (in Deutschland) eigentlich noch bleibt, wo etliche Kipppunkte längst erreicht sind. Es gleicht einem Fanal, dass – gerade in Bezug auf die Frauenfrage – das viel gepriesene Gottesvolk den lehramtlichen Argumenten mehrheitlich seine Zustimmung verweigert. In Bätzings Worten: „Die Rezeption durch die Gläubigen wird der Lehre von der allein Männern vorbehaltenen Weihe mehr und mehr entzogen. Sagt das etwas über das Wirken des Heiligen Geistes in unserer Zeit? Oder muss ich annehmen, dass 90 oder gar 95 Prozent des Gottesvolkes dann eben falsch liegt?“

Was eigentlich eine rhetorische Frage ist – gerade wenn Bätzing die sakramentale Struktur der Kirche so wichtig ist –, kollidiert einmal mehr mit der Vorgabe weltkirchlicher Einheitlichkeit. Es gleicht der Quadratur des Kreises: „Wir gefährden diese grundlegende Wirklichkeit, wenn wir uns nicht erneuern“, wobei in Bezug auf die weltkirchliche Dimension etwas vage von einer erneuerten Hermeneutik von Einheit die Rede ist. Wohin Bätzing will, ist klar: „Einheit ist doch nicht wie ein Grundbesitz mit Zäunen drumherum, sie muss doch stets neu errungen werden, miteinander und bestimmt nicht durch Restauration, sondern nur durch Fortschritt im Sinne von Entwicklung.“

Auch in Bezug auf eine weitere Überlebensfrage, die Ökumene, soll es nach dem Willen des Konferenzvorsitzenden vorangehen. Auch hier ist die Frage gestellt, um welche Form von Einheit es gehen kann, und auf das Feld der Weltkirche zurückgespielt: „Auch die römische Seite muss mehr Kraft investieren und das katholische Einheitsmodell noch einmal explizieren“ – was immer das heißen und bewirken könnte.

Für Bätzing steht fest: „Rom ist kein Gegner“ – wohl in dem Sinne, dass Rom nicht grundsätzlich gegen Reformschritte ist. Er habe an der Kurie und auf der Weltsynode mühsame Gespräche geführt und werde sie weiter führen, glaube aber, dass man beieinanderbleiben und vorankommen werde. Fest steht für ihn auch, dass die Kirche in Deutschland bei den Reformthemen nicht allein ist, dass Beharrungstendenzen mit Angst vor Veränderungen einhergehen. Bätzing weiß, dass „die Reformen nicht die Krise beheben, aber die Krise wird sich ohne Reformen verschärfen“.

Um der substanziellen Krise der Kirche Herr werden zu können, braucht es theologisches Rüstzeug – das weiß Bätzing erfreulicherweise ebenfalls: „Menschen gehen die Plausibilitäten abhanden, warum man glauben und der Kirche zugehören soll.“ Bei aller Selbstreformierung bleibt er sich dann wieder treu, den letzten Satz spricht der Fronleichnamspriester: „Wir brauchen nicht verzagen, es geht voran. Und ER geht mit“ – aber auch das muss plausibilisiert werden, sonst geht es nicht weiter.

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