Peter Knauer (1935–2024)Gott ist kein weißer Elefant

Ein persönlicher Nachruf auf meinen Lehrer.

Drei Tage lang wohnte ich als neuer Student im Seminar der Priesteramtskandidaten der Jesuitenhochschule Sankt Georgen im wunderschönen, altehrwürdigen Park des Frankfurter Stadtteils Oberrad. Dann hielt es mich nicht länger: Ich musste eine theologische Vorlesung anhören, obwohl ich doch zunächst lediglich Philosophiestudent war. Aber ich hatte so viele Fragen, die ich bereits jetzt beantwortet bekommen wollte. Daher setzte ich mich in Pater Knauers Vorlesung – und da sah ich diese Folie auf dem Overheadprojektor, die mich innerlich so anrührte, wie es bei aller Verwegenheit solch eines Vergleichs Saulus auf dem Pferd ergangen sein musste. Ich spürte: Das da vorne ist mein Lehrer! Auf der Folie zu sehen war ein weißer Elefant auf einer Wiese.

Peter Knauer lächelte, wie so oft, und fügte hinzu, wie oft er selbst beim Studium theologischer Predigten und Essays an diesen Elefanten denken müsse, der da einfach plötzlich auf einer Wiese erscheine – unvermittelt und wider jede Vernunft. Unter dem Elefanten stand mit Knauers unverwechselbarer kleiner Handschrift das Wort „Gott“. Hier lernte ich, niemals von Gott zu reden oder zu schreiben, ohne mich zuvor zu fragen, ob dieser „Gott“ nur unter meine Begriffe fällt bzw. ob ich ihn bloß als Teil der Welt denke.

Gott ist eben nicht der weiße Elefant inmitten seiner Schöpfung. Gottes Allmacht bedeutet nicht, dass er auf Erden alles tun und lassen könnte, was er einfach mal heute so möchte. Gegen solch einen Willkürgott predigte und schrieb Knauer täglich an.

Dieser so wichtige theologische Grundsatz war auch zugleich seine Antwort auf die wohl sensibelste aller Glaubensfragen, nämlich die Theodizee-Frage: Warum lässt Gott das Leid zu? Knauer sagte damals in diesem Saal der Hochschule, was ich seitdem auch als Seelsorger fast täglich wiederhole und leider woanders kaum geboten bekomme: Die Frage selbst sei falsch gestellt, weil Gott als ein Systembestandteil der Welt gedacht werde, von dem man herleiten könne, was in der Welt der Fall zu sein habe. Die übliche Theodizee-Frage gehe von zwei falschen Voraussetzungen aus: Erstens bestehe die Allmacht Gottes darin, dass er alles Mögliche können müsste. Man wisse nur leider nie, ob er es auch tatsächlich tun werde. Die Allmacht Gottes wäre also ein unberechenbarer Faktor, mit dem man dennoch rechnen müsste. In diesem Verständnis laufe das Vertrauen auf Gottes Allmacht im Grunde auf ein Blindekuhspiel hinaus. Zweitens müsse die Güte Gottes darin bestehen, dafür zu sorgen, dass es einem gut gehe: Wenn man gesund und erfolgreich ist, dann erfährt man Gottes Liebe. Ist man dagegen krank und elend, dann ist Gott offenbar in weiter Ferne. Was könne unheilvoller sein als diese Auffassung, fragte Pater Knauer. Wenn man von irgendetwas erlöst werden müsse, dann doch von dieser irrigen Meinung, die angesichts unserer Todesverfallenheit tatsächlich nur zur Verzweiflung führen kann.

Ich war am dritten Studientag der glücklichste Student. Endlich ein Lehrer, der die gleichen Fragen stellte wie ich. Endlich ein Priester, der mich nicht zur Beichte zwang, weil ich wie Thomas so viele Zweifel mitbrachte – im Gegenteil: Dieser Jesuit lobte meine Zweifel und behauptete gar, dass diese notwendig seien, um nicht einem Aberglauben auf den Leim zu gehen. Glaube und Vernunft seien nämlich Geschwister.

Peter Knauer legte großen Wert darauf, Fremdwörter zu vermeiden. Einfach und verständlich zu predigen und zu schreiben, sei eine wichtige Tugend. Im Grunde könne man, so Knauer, den gesamten christlichen Glauben in einem einzigen Satz zusammenfassen: An Jesus Christus als den Sohn Gottes glauben bedeutet, aufgrund seines Wortes darauf zu vertrauen, dass wir von Gott mit der Liebe geliebt werden, mit der er seinen Sohn liebt. Punkt und Amen.

Wie wohltuend, dass sich hier endlich einmal jemand so kurz, knapp und verständlich äußert! Knauer gehörte nicht zu den Theologen, die alles verkomplizierten, sondern vereinfachten. Ich habe meinen wichtigsten Lehrer verloren, freue mich aber zugleich auf ein Wiedersehen im Himmel. Ich habe noch so viele Fragen...

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