Mindestens ein Verdienst hat der bisherige Synodale Weg allemal: Er hat in die Heißluftblase hineingestochen, wonach in der Kirche alle Menschen immer nur dienend und selbstlos im Guten unterwegs seien. Das Tabuthema „Macht“ wurde endlich offensiv angepackt.
„Bei euch soll es nicht so sein“ (Mk 10,45) – diese entschiedene Orientierung an der Diakonia Jesu wird ja schon im Neuen Testament immer wieder angemahnt, weil sie de facto so oft fehlt. Und nicht nur das: Wenn alle am Dienen sein sollen, ist „Macht“ wie selbstverständlich negativ besetzt und wird zumindest als Thema meist nicht angesprochen. In solch fataler Idealisierung jedoch lässt sich Macht umso unverblümter ausüben, bis hin zu all den Formen des Missbrauchs. Das Evangelium Jesu ist aber keine Idealisierung, sondern ein Gottesgeschenk zur Unterscheidung der Geister und ihrer Realisierung in der faktischen Welt.
Angesichts dieser grundlegenden Herausforderung ist die Lebenssumme eines der Pioniere der deutschen Pastoralpsychologie, des evangelischen Theologen Michael Klessmann (Wuppertal/Bethel), ein großer Schatz. Allein die knappe und klare Zusammenstellung soziologischer und psychologischer Machttheorien ist ausgesprochen hilfreich. Auch die theologische Grundlegung in diesem Band gibt klare Orientierung.
Freilich bleiben die Reflexionen über Gottes Allmacht und Ohnmacht in ihrem zutiefst paradoxen Zusammenhang ergänzungsbedürftig (sowohl in glaubensgeschichtlicher als auch in ökumenischer Perspektive): Der theologisch zentrale Gedanke nämlich, dass sich wirkliche All-Macht gerade im Mut zeige, zugunsten des Andersseins anderer auf seine Macht zu verzichten, hätte noch mehr Entfaltung verdient. Gott eben wirklich als schöpferische und karfreitaglich-österliche Allmacht zu verstehen. Aber dass ein so sensibler Pastoralpsychologe wie Michael Klessmann sich so nah wie möglich am faktischen Lebens- und Glaubensbewusstsein heutiger Mitmenschen (und deren gleichsam instinktiver Ablehnung von Allmacht) orientiert, ist nur verständlich und zu begrüßen.
Entsprechend buchstabiert Klessmann die Dimensionen des Kirchlichen – hinsichtlich seiner Verfasstheit, in seinen amtlichen Vollzügen und Rollen – machtkritisch durch. Die vielen Beispiele und Fallanalysen zeigen, aus welch reichem Erfahrungsschatz der Autor – er war auch Lehrsupervisor und Krankenhausseelsorger – schreibt. Ausgiebig ist von der Macht des Heiligen und seiner Ritualisierung in Liturgie und Predigt die Rede, und natürlich auch in Seelsorge und Beratung. Immer geht es, mit einem Begriff des Soziologen Norbert Elias, um „Figurationen“ von Macht oder Ohnmacht, also um die Beachtung kommunikativer und relationaler Bezüge. Deutlich wird, wie sehr ständig zwischen schöpferischer Ermächtigung und destruktivem Machtgebrauch zu unterscheiden ist. Einem beziehungsstark und realgeschichtlich verstandenen Gottesverständnis entspricht ein Leitverständnis von menschlicher Gestaltungsmacht.
Nie also sollte es um Denunzierung von Macht per se gehen, sondern, gerade in und als Kirche, um „Machttransparenz“, also um konkrete Unterscheidung der Geister, um möglichst wirksame Anteilnahme an Gottes Schöpferpräsenz, die sich nicht zuletzt als beziehungsstarke Selbstzurücknahme zeigt, sogar als mitleidende und stets verlässliche Treue. Das Buch gehört in alle Hände, zumindest derer, die Pastoralmacht ausüben oder zu spüren bekommen.