Behindertenfeindliche WitzeKultur der Achtung

Der Comedian Luke Mockridge hat die Paralympics verhöhnt. Dass sich die Öffentlichkeit dagegen wehrt, ist wichtig – darf aber nicht alles bleiben.

Einmal mehr sorgt ein deutscher Komiker mit seinen Entgleisungen für Empörung. Einmal mehr lässt die Gegenreaktion nicht lange auf sich warten: cancel culture! – zu Deutsch soviel wie „Löschkultur“, Zensur. Braucht es die leidige Diskussion wirklich erneut? Luke Mockridge fiel schon häufiger durch misslungene Witze auf; manche sprechen ihm ohnehin jegliches Talent ab. Warum überhaupt auf sein Geschwätz hören?

Auch diesem Kommentar kann man vorwerfen, dass er sich der Geschmacklosigkeit eines mittelmäßigen Künstlers widmet, anstatt über die paralympischen Spiele selbst zu berichten: Zwei Wochen lang begeisterten in Paris mehr als 4000 Menschen mit Behinderung aus rund 170 Ländern die Weltöffentlichkeit mit ihren Leistungen. Sie alle sind strahlende Vorbilder der Lebensfreude und Willenskraft und für unzählige Behinderte eine Ermutigung, sich nicht durch gesellschaftliche Normvorstellungen kleinhalten zu lassen.

Kaum zitierbar

Gerade wegen dieser eindrucksvollen Menschen muss man aber auch über Comedians sprechen, die behindertenfeindliche Witze reißen. Weil auch sie Vorbilder sind – und weil sie ihre Öffentlichkeit nutzen, um sie anderen zu nehmen. Gerade damit Minderheitenschutz nicht zur Nebensache wird, muss man den cancel culture-Vorwurf als das enttarnen, was er ist: ein Kampfbegriff, mit dem privilegierte Gruppen ihre Stellung sichern wollen.

Mockridges Äußerungen sind derart verachtungsvoll, dass man sie nur widerwillig zitiert: „Es gibt Menschen ohne Beine und Arme, die wirft man in ein Becken – und wer als Letzter ertrinkt, der hat halt gewonnen.“ Sie fielen nicht im Privatgespräch, sondern in einem Videopodcast. Vor der Veröffentlichung hatte Nizar Akremi, einer der beiden Gastgeber, angekündigt, er habe „eine ganz ekelhafte Seite rausgekitzelt“ und freue sich „auf das Rumgeheule“. Provokation mit Ansage.

Ohne Zweifel ist Kunstfreiheit ein hohes Gut und die Grenzen dessen, was Satire darf, sind zu Recht weit. Auch gibt es keine Vorschriften, worüber gelacht werden darf. Neben rechtlichen Grenzen gibt es jedoch die Grenzen des Anstands, und es ist gut und wichtig, dass sich eine Gesellschaft verständigt, über was sie lachen will und über was nicht. Die Verächtlichmachung von Menschengruppen gehört zu Letzterem.

Seine Entschuldigung machte Mockridge durch die implizite Rechtfertigung zunichte, er habe unter behinderten Menschen „immer einen scharfen, schwarzen Humor erlebt“. Es ist eben etwas anderes, ob Menschen Witze über sich selbst machen oder dritte über sie.

Alles bloß cancel culture?

Wer die Entscheidung von Sat.1, Mockridges neue Sendung abzusetzen, als cancel culture brandmarkt, verfällt einem populistischen Narrativ, das ausschließlich dazu dient, die Gesellschaft auseinanderzutreiben. Menschenverachtendes Reden und Handeln öffentlich zu ächten, hat nichts mit einer Verbotskultur zu tun. Es ist schlicht Ausdruck von Kultur: das gemeinsame Aushandeln dessen, wie wir leben wollen.

Deshalb darf es auch nicht bei Empörung bleiben. Geholfen ist den Menschen erst, wenn sich ihre Lebensumstände verbessern. Das bedeutet etwa: aufstehen, wo Inklusionsprojekte gestrichen werden, widersprechen, wenn Migranten oder andere Randgruppen als Sündenböcke herhalten sollen. In Zeiten, in denen Rechtsextreme und Populisten das Nach-unten-Treten salonfähig machen, brauchen wir eine Kultur des Anstands mehr denn je.

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