Nach der Nationalratswahl in ÖsterreichChristlich-soziales Erbe in Auflösung

Nach der Wahl in Österreich zeigt sich: Die Einspruchskraft der Kirchen ist begrenzt, Religion ist kaum mehr ein relevanter Faktor im öffentlichen Diskurs.

Blass sahen die Vertreter der Kirchen aus, als sie von einer möglichen Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) erfuhren. „Ein Riss geht durch das Land“, sagte Kardinal Christoph Schönborn in einer eigens einberufenen Pressekonferenz. Selbst der Vatikan meldete sich zu Wort – und zeigte sich abwartend. Es sollten keine „vorschnellen Urteile“ gefällt werden. – Das alles liegt nun fast 25 Jahre zurück. Damals, als die FPÖ unter Jörg Haider ein ähnlich hohes Ergebnis wie heute einfuhr und gemeinsam mit der ÖVP unter Wolfgang Schüssel eine Koalition bildete, war der Aufschrei groß. Österreich wurde in Europa mit Sanktionen belegt, diplomatische Beziehungen teils auf Eis gelegt.

Und heute? Nachdem die FPÖ unter Herbert Kickl mit 29 Prozent einen Wahlsieg noch vor der mit 26 Prozent zweitplatzierten ÖVP eingefahren hat, steht abermals eine schwierige Regierungsbildung an. Die Fronten haben sich im vergangenen Wahlkampf extrem verhärtet. Zugleich steht die Frage im Raum, ob die Volkspartei unter Noch-Kanzler Karl Nehammer an ihrem „Nein zu Kickl“ festhält, oder doch – wie damals Wolfgang Schüssel – umfällt und diesmal als Juniorpartner in eine Koalition mit der FPÖ einwilligt.

Die Position der Kirchen ist diesbezüglich in mehrfacher Hinsicht interessant: So zeugt ein vernehmlicher Rechtsruck in der ÖVP gerade bei Fragen der Migrations-, Asyl-, Sozial- und Medienpolitik davon, dass offenbar die alten christlich-sozialen Quellen der Partei im Zuge der anhaltenden Säkularisierung langsam austrocknen. Im Jahr 2000 war es Wolfgang Schüssel immerhin noch ein Anliegen, zu versichern, er und die ÖVP hielten an den christlichen Zentralwerten der Bergpredigt fest. Kaum mehr vorstellbar, dass ein Kanzler Nehammer, der zuletzt armen Menschen empfahl, günstige Hamburger bei McDonalds zu essen, heute ein ähnliches Bekenntnis ablegen würde. Anders gesagt: Die ÖVP hat – beschleunigt durch die Ära Sebastian Kurz – ihre christlich-soziale Basis weitgehend eingebüßt. Das zeigt auch ein Blick ins Wahlprogramm, wo Religion vor allem als folkloristisches Moment einer gesuchten „österreichischen Leitkultur“ zwischen Schnitzel und Trachtenkapellen einsortiert wird.

Zugleich fremdeln weite Teile des organisierten Laienapostolats heute offen mit dem früher so verlässlichen Bündnis mit der Volkspartei. Caritas und Katholische Aktion (vergleichbar dem ZdK in Deutschland) suchen schon seit langem nach neuen strategischen Themen-Partnerschaften über die Parteigrenzen hinweg und finden diese immer häufiger im Bereich der Sozialdemokratie und der Grünen. Eben diese letzten verbliebenen Reste des Verbandskatholizismus haben sich zwar im Vorfeld der Wahl mahnend zu Wort gemeldet und etwa eine prinzipielle Unvereinbarkeit von FPÖ-Positionen mit dem christlichen Weltbild konstatiert; allein sie blieben einsame Rufer in der Wüste. Nicht unwahrscheinlich, dass unter dem großen Wählerstrom von über 440000, die von der ÖVP zur FPÖ gewandert sind, auch zahlreiche christliche Stimmen waren.

Was nun? Anders als im Jahr 1999 scheint sich das Entsetzen über den Wahlausgang bislang in Grenzen zu halten. Noch hegen viele die Hoffnung, dass sich – in historisch erprobter Manier – die Volkspartei und die Sozialdemokraten mitsamt eventuell einem Juniorpartner wie den NEOS zusammentun, um eine Kanzlerschaft Kickls zu verhindern. Möglich auch, dass sich bei einer Regierungsbeteiligung der FPÖ die dünne Personaldecke der Partei als Fallstrick erweist und mangelnde Kompetenz gepaart mit teils neonazistischen, teils identitären Verstrickungen zu einem nächsten Skandal-Ende à la Ibiza führt.

Aus christlicher Sicht bleibt zu hoffen, dass zumindest Teile der durch Austrittswellen, interne Skandale und Strukturreform-Prozesse gelähmten Kirchen die kommenden Wochen wach und mit scharfem Blick verfolgen. Abzuwarten bleibt in dem Zusammenhang, ob der anstehende Wechsel auf dem für Österreich so wichtigen Bischofsstuhl von Wien dieser Wachsamkeit und der Stimme der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit zuträglich ist oder nicht.

Im Jahr 2000 sagte der damalige Kärntner Bischof Egon Kapellari: „Wir beten darum, dass in Österreich nach dem gegenwärtigen Purgatorium eine ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit, eine gereinigte politische Atmosphäre und ein geglückter Neuanfang gelingen möge.“ Sein Wort in Gottes Ohr.

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