Seit ich Lesen gelernt habe, gab es keinen Tag in meinem Leben, an dem ich nicht ein Buch in der Hand hatte und gelesen habe. Daher hat mich der Artikel über die Bildungsinitiative von Papst Franziskus sehr interessiert. Besonders seine Erinnerung an ruminatio – Wiederkäuen des Gelesenen – ist mir eingängig gewesen. Seit Sommer bin ich Teilnehmerin an einem Literatur-(Lese-)Gesprächskreis. Uns hat das Buch Was man von hier aus sehen kann von Mariana Leky gepackt. Zunächst glaubten wir, mit einigen wenigen Runden „durch“ zu sein. Aber wir finden immer wieder Stellen, Gedanken, Beschreibungen der Autorin, die uns faszinieren und an dem Buch festhalten lassen. Also heißt es „wiederkäuen“ und so immer tiefer in die Geschichte und die Gedanken der Autorin hineinzusinken. Ich bin gespannt, wann wir das Buch dann zur Seite legen werden.
Renate Hartmann, Essen
Ich bin begeistert, dass Papst Franziskus den Blick in die Literatur weitet (auch für die Ausbildung der Priester!). Vor allem nutze ich gerne den Vorschlag, ein Werk zu benennen, das mich besonders berührt hat: die Novelle Das Netz von Werner Bergengruen. Zwar ist der Autor „wieder ein Mann“, aber das Verhalten der Landgräfin, das er beschreibt, zeigt eine besonders eindrucksvolle weibliche Sichtweise. Die Novelle (von 1956) ist hochaktuell; ich möchte sie sehr empfehlen.
Heidi Herrmann, Alfhausen
Meine Buchempfehlung betrifft eine Neuerscheinung von Gregor Baumhof OSB von der Abtei Niederaltaich: Du bist Licht und Tag. Der als Lehrbeauftragter für die Gregorianik und Leiter des Hauses für Gregorianik e. V. in München tätige Benediktinermönch hat sich der Hymnen, einer Dichtungsgattung der frühen Kirche, angenommen. Diese hat mich seit meiner Internatszeit im Jesuitenkolleg Wien-Kalksburg, Maturajahrgang 1964, sehr gefesselt. Vor allem an den Hochfesten Weihnachten, Ostern und Pfingsten freute man sich darauf, die Hymnen zu hören. Persönlich habe ich bis heute nicht verstanden, warum diese großartigen Texte infolge der Liturgiereform aus dem Kanon der Messliturgie gestrichen wurden. In seiner Einleitung öffnet der Autor den Blick auf eine erstaunliche Fülle von Hymnentexten, von deren Existenz ich nie gehört hatte. Der Lateinisch und Deutsch dargestellte Text lässt die poetische Kraft voll und ganz erfassen!
Dr. Johannes von Geymüller, Essen
Um es vorwegzunehmen: Die wenigsten Protagonisten in Cormac McCarthys Romanen bleiben am Leben. Auch wenn es keine Kriminalromane sind, ist der Tod dort stets gegenwärtig. Unsentimental, auch rau sind die Geschichten des 1933 geborenen und 2023 verstorbenen amerikanischen Autors, nicht unbedingt für zarte Gemüter zugeschnitten. Die herbe Prosa verbindet sich allerdings mit einem sicheren, ja auch schönen und berührenden Stil. In den Jahren 1992 bis 1998 schrieb McCarthy die drei Romane der Border-Trilogie – insgesamt rund 1000 Seiten. Die Handlung spielt in den 1930er-Jahren im Südwesten der USA und in Mexiko. Es ist ein Leben an der Grenze (staatlich, aber auch existenziell). Die Sprache bildet die karge, wüstenhafte Landschaft ab. Gesprochen wird nicht viel, die Dialoge sind meist kurz und knapp. Es kommt aber sporadisch zu unerwarteten existenziellen Begegnungen, wo ganze Lebensgeschichten erzählt werden, die Gottes- und Sinnfrage erörtert wird. Wie bei einer Tiefenbohrung in der Wüste sprudelt auf einmal alles hervor, was so weit weg erschien. Wie beim biblischen Gleichnis von der Perle oder vom Schatz im Acker muss man sich bei McCarthy seitenlang durch eine Steppenlandschaft lesen; stößt man aber dann auf die Perle, wird man rundum belohnt.
Doris Ebner, Stadtbergen
Mein aktueller Buchtipp ist Petra Pellinis Der Bademeister ohne Himmel. Wunderbar, wie die Autorin den dementen Bademeister (das Buch spielt in Bregenz am Bodensee) schildert und seine trotz allem vorerst noch vorhandenen Reaktionsmöglichkeiten, die ihm vor allem die junge Protagonistin entlocken kann. Das alles aus der Sicht einer Teenagerin, die mit großen Verlusten umgehen muss und dabei dennoch die Hoffnung und Liebe nicht verliert.
Gisela Tschudin, Gockhausen
Ich lese aktuell den Roman Land sehen von Husch Josten. Die Kölner Autorin, 2019 ausgezeichnet mit dem Konrad-Adenauer-Literaturpreis, nimmt ihre Leserschaft mit auf eine spannende Reise, auf der sich zwei Menschen begegnen, die einander mögen, einander dann verloren haben und sich im Ringen um die großen Fragen des Lebens wiederfinden. Eine tiefgründige, sprachlich meisterhaft erzählte und unterhaltsame Geschichte über die irritierende Kraft des Glaubens in einer wissensorientierten, säkularen Gesellschaft – irritierend im besten Sinn des Wortes für alle, die sich in ihren Überzeugungen allzu sicher sind, für Gläubige und Ungläubige!
Leopold Haerst, München
Einigen werden die Krimis von Cay Rademacher mit Kommissar Roger Blanc bekannt sein. Neben Krimis aus der Zeit von 1947 in Hamburg schrieb er auch In Nomine Mortis, das in der Zeit von 1350 in Paris spielt. Als ein junger Dominikanermönch von Köln nach Paris kommt, wird er dort mit einem Mord konfrontiert und löst den Fall nach einem faszinierenden Verwirrspiel. Rademacher beschreibt den Alltag der einfachen Menschen und der Geistlichkeit gut recherchiert, besonders als die Pest Paris erreicht. Ich dankte beim Lesen dafür, nicht in der damaligen Zeit gelebt zu haben. Trotzdem ein spannendes Buch.
Hartmut von Ehr, Böhl-Iggelheim
Mit großen Interesse habe ich Die erstaunlichen Sinne der Tiere von Ed Yong gelesen.Obwohl es kein theologisches Werk ist, hat es mich spirituell sehr berührt, und mir viel zu denken gegeben. Das meiste darin habe ich gar nicht gewusst, und man versteht, wie unterschiedlich die Sinne und Empfindungen der Tiere sind, um wie viel sie uns bei den einzelnen Sinnen „überlegen“ sind, und wie komplett anders sie die Welt wahrnehmen.
Marie-Helene Metzler, Stuttgart
Eine wahre Entdeckung sind für mich die Bücher des italienischen Erfolgsautors Erri de Luca. Bekannt wurde ich mit ihm durch die Lektüre seiner kleinen Erzählung Das Gewicht des Schmetterlings aus dem Jahr 2009. Als Erstes besticht die Geschichte durch die Wahl der ungewöhnlichen Protagonisten: ein namenloser Mann, Bergsteiger und Wilderer, sowie ein Gamsbock. Seit Jahren verfolgt der Wilderer das Rudel der Gämsen, hat viele erlegt, so auch wichtige Glieder der Gamsfamilie. Aber den Bock hat er nicht gekriegt, denn dieser wittert von weit her den Geruch des Jägers und kann sich in Sicherheit bringen. Nun sind beide alt und ahnen ihr Ende. In kurzen, prägnanten Sätzen erzählt Luca die letzte Begegnung der beiden.
Der Leser verfolgt mit Spannung, wie der Autor auf gerade einmal 70 Seiten das Zusammenspiel von Gamsbock und Wilderer, Lebensgeschichten von Tier und Mensch und den Alterungsprozess der beiden schildert. Schließlich erkennt man, dass die Geschichte ein Gleichnis für das Leben ist. Dies wird vollends deutlich im Bild des weißen Schmetterlings, der sich immer wieder auf das Gehörn des Bocks niederlässt. Von jeher ist der Schmetterling durch seine Verwandlung ein Symbol von Werden, Vergehen und Auferstehen. In diesem Sinne erschließt sich die Symbolik der Geschichte.
Prof. Dr. Magda Motté, Aachen
Meine Leseempfehlung ist Das Haus auf dem Wasser von Emuna Elon. Das Buch spielt in Amsterdam in zwei Zeitepochen: in der Gegenwart und der Vergangenheit, der Zeit der Nazibesatzung und Judenverfolgung. Erzählt wird über das Leben zweier befreundeter Familien. Die Geschehnisse von früher werden dabei immer wieder mit dem Gegenwärtigen verwoben. Die Themen Verfolgung, Vertreibung und Verrat werden so dargestellt, dass man Herzschmerz und tiefes Mitgefühl empfindet. Das Buch ist meisterhaft erzählt und für mich etwas ganz Besonderes.
Adelheid Kröhling, Haselünne
Mit Schreiben und Lesen fängt eigentlich das Leben an“, zitiert Ulla Hahn zu Beginn ihres Romans Das verborgene Wort die Eintragung auf einer mesopotamischen Wachstafel mit Schulübungen aus dem 4. bis 5. Jahrhundert v. Chr. Zur gegenwärtigen Jahreszeit prüfe ich auch gern, ob ich Rainer Maria Rilkes Gedicht Herbst noch auswendig kann: „Die Blätter fallen,/fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten“, mit dem so anrührenden Schluss: „Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen/unendlich sanft in seinen Händen hält.“ Und lassen Sie mich noch ein Buch einer Autorin nennen: Astrid Lindgrens Mio, mein Mio berührt mich auch nach über 60 Jahren des ersten Kennenlernens noch sehr (ganz anders als die kesse Pippi Langstrumpf); daran dürfen mittlerweile auch unsere Enkel teilhaben.
Ute Seidel-von Felde, Jersbek
Bei einem Besuch der Benediktinerabtei Ottobeuren im Allgäu überraschte mich auf der Hinweistafel im Eingangsbereich als Motto des Klosterlebens die Formulierung ora et labora et lege („Bete und arbeite und lies“). Müsste sich der Jesuit Bergoglio nicht sehr über diese Erweiterung der Ordensregel bei den benediktinischen Brüdern freuen?
Heinrich Gerke, Dortmund