BuchbesprechungKindheitstrümmer

Fotoalbum, Löffel, Turnhose – wie Erinnerungsstücke von der Verwüstung des Krieges zeugen, erzählt dieses berührende Buch.

Der Vater der Journalistin Maren Hoffmann hatte als Kind einen kleinen Teddybären. Viel gespielt und geschmust hat er mit ihm, bis das Plüschtier auseinanderfiel. Immer wieder wurde es genäht, gestopft, geflickt. Schließlich verlor der Teddy sein Bein und beide Arme. „An irgendeinem Tag warf ich wohl mit dem Teddy, oder was davon übrig war, in der Gegend herum, wobei er in den Kessel mit heißem Wasser fiel“, notierte Hoffmanns Vater später in seinen Erinnerungen. „Da ich ihn trotz Geschrei, weil er sehr heiß war, nicht sofort wiederhaben konnte, musste ich warten, bis er abgekühlt war.“Von diesem Zeitpunkt an wurde der Teddy in der Familie als „der kalte Gekochte“ bezeichnet.Hoffmanns Vater hat ihn zeitlebens aufbewahrt. Nach dessen Tod brachte es die Tochter nicht übers Herz, das Stofftier wegzuwerfen: „Auch, weil in seinem geschundenen Stoffkörper so viele gespeicherte Gefühle steckten, die mein Vater später wohl nie mehr so offen gezeigt hat.“

Hoffmann erzählt all das in der jüngst erschienenen Geschichtensammlung Warum hängt dein Herz daran? der Autoren Annette und Hauke Goos. Eindrücklich verdeutlichen sie an verschiedensten Habseligkeiten, welche tiefsitzenden Spuren der Krieg über Generationen hinterlassen hat. Entstanden ist ein höchst berührendes und zugleich zutiefst bedrückendes Zeugnis von Erlebnissen zwischen 1939 und 1946 sowie darüber hinaus. In den Nachkriegsjahrzehnten war es in vielen Familien ein Tabu, über die Ereignisse zu sprechen. Diese Sprachlosigkeit durchbrechen nun die über dreißig Gespräche. „Mit jedem Gespräch wurde uns klarer, dass die Gegenstände allenfalls Türöffner waren“, ist im Vorwort zu lesen. „Ein Anlass, überhaupt ins Gespräch zu kommen, aber nicht das Hauptthema. Stattdessen ging es bei den Kriegskindern oft sehr bald um das schwierige Verhältnis zu den eigenen Eltern.“

Herzstück jeder Begegnung ist ein Erinnerungsstück, in dem mehr steckt, als man auf den ersten Blick sieht. „Wenn man nur genau hinschaut, erzählen die Beulen, Schrammen, Abschabungen, Risse und Kratzer, die ihnen eingeschrieben sind, Zeitgeschichte.“ Und so zeigen die Gegenstände, „welche Spuren der Krieg in den Seelen ihrer Besitzer hinterlassen hat“. In ihnen manifestiert sich vergangenes Leid, Krieg, Verlust und Flucht – ob eine uralte Kaffeemühle, ein zerfleddertes Fotoalbum, eine Schreibmaschine, eine Trillerpfeife oder eine löchrige Turnhose, ein kleiner Kochtopf, ein Kleiderbügel, eine Milchkanne oder eine Wärmflasche aus Weißblech.

Oft befinden sich Kinder und Enkel der Kriegseltern in einem Dilemma und Loyalitätskonflikt: Welches Verhältnis hatten die Eltern und Großeltern zum Nationalsozialismus? Waren sie vielleicht sogar Täter?So manches Mal schaffen diese Gegenstände für ihre Besitzer auch Verbindungen zu Elternteilen, die sie früh verloren haben.Sie spenden Trost und sind zugleich mit Geschichte aufgeladen. Anne-Katrin Hoestermanns Großmutter rettete etwa zwei Löffel und zwei Gabeln, die von der Hitze völlig verformt waren, aus den Trümmern des zerstörten Hauses in Hamburg: „Die geschmolzenen Löffel sind für mich ein Sinnbild für Krieg und Gewalt.“ Charakter verleihen dem Buch neben den berührenden Geschichten auch die vom Fotografen Dimitrij Leltschuk aufgenommen Porträts der Menschen und ihrer ausgewählten Objekte. Unter ihnen auch „der kalte Gekochte“. Der kleine Kerl, der die Höhen und Tiefen des Lebens am eigenen Stoffleib erlebt hat, ist bis weit ins Jahr 2025 hinein im Spielzeugmuseum in Nürnberg zu sehen. Der Besuch bewegt. Die Lektüre lohnt. Beides berührt.

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Goos, Annette; Goos, Hauke

Warum hängst daran dein Herz?Wie Erinnerungsstücke aus der Kriegszeit helfen, unsere Eltern zu verstehen

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2024, 384 Seiten, 28 €

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