Gesetzentwurf zum SchwangerschaftsabbruchDas Zerren am Lebensschutz

Ausgerechnet auf den letzten Metern vor der Wahl im Februar legt eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten aus unterschiedlichen Parteien einen Gesetzentwurf zum Schwangerschaftsabbruch vor. Die Moraltheologin Kerstin Schlögl-Flierl sieht das kritisch.

Im Grunde kann man sagen, dass die im April vorgelegte Empfehlung der Expertinnenkommission der Bundesregierung in einen Gesetzentwurf gegossen wurde. Die Eckpunkte dabei sind: Das Thema Schwangerschaftsabbruch soll aus dem Strafgesetzbuch genommen und damit rechtmäßig werden, die Pflichtberatung für die ersten zwölf Wochen bleibt und der Schwangerschaftsabbruch Krankenkassenleistung werden.

Hier ist einerseits zu fragen, ob in den aktuellen Regierungswirren und Wahlkampfzeiten so komplexe Themen, die in anderen Ländern oft kulturkämpferische Züge aufweisen – die AfD bringt sich schon in Stellung –, behandelt werden sollten. Auf der anderen Seite ist der Inhalt zu diskutieren, bei dem ich mich auf drei Punkte konzentrieren werde.

Im Gesetzentwurf wird zwar die Beratungspflicht befürwortet, jedoch wird unterstellt, dass die bisherige Praxis übergriffig sei. Man solle bei der Schwangeren nunmehr auf die informierende, nicht belehrende Beratung setzen statt auf die Ermutigung zur Schwangerschaft. Aber: Eine gute Beratung sucht tragfähige Lösungen und darf auf keine Seite hin vereinnahmt werden. Andernfalls wäre sie keine Beratung. Der Lebensschutzgedanke würde mit der Neuregelung nicht nur deutlich aufgeweicht, sondern diese würde auch elementar gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstoßen.

Mit der Streichung des §218 soll eine Entkriminalisierung erreicht werden. Der Blick auf die Strafverfolgungsstatistik zeigt jedoch, dass die Entkriminalisierung von Frauen, Ärztinnen und Ärzten schon vor 30 Jahren faktisch vollzogen wurde. Eine Auswertung der Statistik und der veröffentlichten Urteile erhellt, dass typischerweise keine Frauen verurteilt werden. Die große Mehrzahl von Aburteilungen (also Verurteilungen, Freisprüche oder gerichtliche Verfahrenseinstellungen) trifft Männer. Es geht also in der aktuellen Diskussion neben der vollständigen Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase um die generelle Frage, welche Bedeutung der Schutz des ungeborenen Lebens für Staat und Gesellschaft in Zukunft haben soll.

Und drittens: Es wird behauptet, der Gesetzentwurf sei doch nur „minimalinvasiv“. Dies kann ich so nicht teilen. Kehrseite eines abgestuften Lebensschutzkonzeptes ist die Rücknahme der staatlichen, verfassungsrechtlich verankerten Schutzpflicht, und zwar gegenüber dem Ungeborenen – nicht mehr und auch nicht weniger.

Warum ist der Schwangerschaftsabbruch überhaupt im Strafrecht? Blickt man in die Paragraphen davor und danach, geht es um Delikte, die gegen das Leben gerichtet sind. Mit der Verortung im Strafrecht wird allgemein der verfassungsrechtliche Rang des Rechtsgutes Leben wachgehalten. Im Schwangerschaftskonflikt stehen Lebensrecht und Selbstbestimmungsrecht gleichberechtigt gegenüber. Bei der Beratung im Schwangerschaftskonflikt wird die Schwangere ermächtigt, eine Entscheidung zu treffen.

Ich bin keine Juristin, sondern theologische Ethikerin, aber ich sehe nicht, wie die Herausnahme aus dem Strafrecht und die veränderte Ausrichtung der Beratungspflicht keine Verminderung der Verbindlichkeit des Lebensschutzes zur Folge haben sollten. Mit dem Gesetzentwurf verbleibt der Lebensschutz in einer eher allgemeinen Appellfunktion. Ob damit der Gesetzentwurf verschiedenen verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Lebensschutz entspricht, kann ich als Ethikerin nicht beurteilen. Aber dass er im Normativen eine nicht zu unterschätzende Verschiebung bedeutet, kann ich durchaus einschätzen.

So wird hier auf der einen Seite am Lebensschutz gezerrt, aber auch auf der anderen Seite: Die AfD möchte im neuen, noch nicht abgestimmten Parteiprogramm den §218 noch verschärfen, wie der Deutschlandfunk berichtet. Nur mehr die medizinische und kriminologische Indikation sollen gelten. Die Pflichtgespräche sollen dafür da sein, um die Frauen von der Abtreibung abzubringen. Es sollen Ultraschallbilder von dem Kind gezeigt werden. Etwas, das ich als nicht angemessenes Mittel eines seriösen Lebensschutzes bezeichnen würde und als keine Beratung.

Es gilt sowohl das Recht auf Leben des Ungeborenen als auch die Selbstbestimmung der Frau zu achten. Beides muss seinen Platz im Gesetz haben. Diese Spannung gilt es abzubilden, aber nicht einseitig aufzulösen.

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