Manchmal denke ich, dass unsere Zivilisation den Sinn für die Freude im tiefen biblischen Sinne verloren hat – und dass sie dieses Defizit mit vielen billigen Ersatzmitteln verbirgt...
Der Wendepunkt zwischen Unterhaltung und Freude und zwischen Optimismus und Hoffnung ist der Augenblick, in dem wir das Tal des Schattens und der Schmerzen durchschreiten. Wenn wir uns von ihnen nicht brechen lassen – werden wir tiefer hinabsteigen. Eine wirkliche, tiefe Freude wird aus einem angenommenen und verwandelten Schmerz geboren.
Kaum jemand kann im Leben den schweren Augenblicken aus dem Weg gehen. Ich denke sogar, dass ein solches Glückskind, das entweder selbst nie Schmerz erlebte oder nicht in der Lage wäre, empathisch und solidarisch die Kreuze seiner Nächsten mitzufühlen und mitzutragen, nie ein ganz reifer Mensch werden würde. Und könnte so jemand überhaupt ein wahres Glück empfinden und ganz tief spüren? Denn Gesundheit kann nur derjenige schätzen, der Krankheit erlebt hat. Den Wert und den Geschmack des Essens vermag nur derjenige zu genießen, der Hunger erlebt hat...
Viele Lehrer des geistlichen Lebens unterscheiden zwischen dem äußeren und dem inneren Ich eines Menschen. Meister Eckhart sagt sogar, dass der äußerliche Mensch, der oberflächliche Mensch, nur einen äußerlichen Gott hat, das bedeutet eine oberflächliche Religiosität. Nur derjenige, der aus den alltäglichen Zerstreuungen in das innere Heiligtum seines Lebens hinabgestiegen ist, kann dem lebendigen Gott wahrhaftig begegnen. Deshalb praktizieren wir Meditation, wir lernen den kontemplativen Zugang zur Wirklichkeit.
Aus: Tomáš Halík: „Das Geheimnis der Weihnacht. Advents- und Weihnachtspredigten voller Hoffnung“ (Verlag Herder, Freiburg, 2. Auflage 2024)