BuchbesprechungEs geht um Menschen!

Arbeitsseelsorger fangen diejenigen auf, die in der schnelllebigen Wirtschaft fallen gelassen wurden.

Menschen bangen um ihre Arbeitsplätze, weil das Unternehmen in der Krise ist und Kündigungswellen drohen. Oder der unerwartete Tod eines Kollegen erschüttert die Belegschaft. Gegebenheiten wie diese gehören zum Alltag von Seelsorgern in der Arbeitswelt. Tagtäglich stehen sie bereit, auf Baustellen, in Fabriken, Werkstätten, Büros, in Großküchen oder auch auf LKW-Rastplätzen. Dort leihen sie den Menschen ihr Ohr, machen ihnen Mut. Bereits seit über 70 Jahren gibt es Angebote der kirchlichen Betriebsseelsorge. „Das Interesse für die Arbeitswelt braucht Gesichter, die sich starkmachen und ihre Geschichte mitbringen“, sagt Johannes Rehm. Der evangelische Pfarrer war bis zu seinem Ruhestand Leiter des „Kirchlichen Diensts in der Arbeitswelt“ in Bayern. Zusammen mit Manfred Böhm, bis vor kurzem Leiter der Betriebsseelsorge im Erzbistum Bamberg, hat er den Essayband Würde ist kein Konjunktiv erarbeitet.

Entstanden ist ein buntes Mosaik zu Seelsorge in der Arbeitswelt. Über 20 katholische und evangelische Frauen und Männer teilen in kurzen Berichten ihre Erfahrungen, die sie bisweilen über Jahrzehnte gesammelt haben: „Immer wieder wurden mir dann hinter der gesichtslosen Zahl aus den Nachrichten die Einzelschicksale deutlich. Menschen, die teilweise 20 Jahre und mehr in einem Betrieb gearbeitet hatten, wurden einfach zu einer Verhandlungsmasse in Excel-Tabellen“, schreibt etwa einer der Arbeitsseelsorger. Gerade durch Digitalisierung und Automatisierung ist die Arbeitswelt derzeit großen Veränderungen ausgesetzt. „Das menschliche Leben ist mit solchen sprunghaften Veränderungen nicht kompatibel“, betont Rehm. „Man kann oben schwimmen, die Karriereleiter emporsteigen, aber auch sehr schnell fallen gelassen werden.” So kämen Schließungen und Kündigungen oft schneller als früher. Angestellten wird häufig kaum Gelegenheit gegeben, sich irgendwie auf diese Umbruchsituation einzustellen. Manchmal wird sogar kurz vor den Weihnachtsfeiertagen eine Kündigung ausgesprochen.

In einer solchen Situation werden Menschen unabhängig von Konfession oder Religion unterstützt. Das Angebot richtet sich an alle, die sich in lohnabhängiger Arbeit befinden. Deutschlandweit sind in 13 der 27 katholischen Diözesen Arbeits- und Betriebsseelsorger im Einsatz. Gerade in der Arbeitswelt zeige sich, dass die Kirchen mehr verbindet, als sie trenne. Die beiden Herausgeber und auch die Autoren nehmen die Kirchen daher auch konkret in die Pflicht – verlassen sich nicht nur auf salbungsvolle Worte: „Es reicht nicht, wenn man sich auf sozialpolitische Appelle konzentriert“, erklärt Rehm. Kirche müsse Menschen an ihren Arbeitsplätzen aufsuchen, „an denen sie einen Gutteil ihrer Lebenszeit verbringen“. Arbeitsseelsorger begleiten Menschen auf Augenhöhe in allen Problemlagen. Ein Anliegen ist, dabei immer wieder die Würde des Menschen herauszustellen. Das Wortspiel im Buchtitel Würde ist kein Konjunktiv haben die Herausgeber bewusst gewählt. Gerade angesichts eines Kapitalismus, der aus Menschen herauszuholen versucht, was herauszuholen ist. „Menschenwürde ist keine Möglichkeitsform, sondern hat Wirklichkeit zu sein“, so Böhm.Dass es um Menschen geht, wird im wirtschaftlichen Denken der Arbeitswelt vielfach vergessen. Vorherrschend ist der Traum vom ewigen Wachstum rund um Produzieren und Konsumieren. Gewinnerwartungen sind bestimmend, entsprechend hart wird durchgegriffen, wenn Ziele nicht erreicht werden. Betriebsseelsorge ist somit ein notwendiger Bestandteil einer modernen Arbeitswelt.

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