Wie geht es in Syrien weiter?Hoffnung auf einen neuen Anfang

Nach dem Sturz des Assad-Regimes ist die Situation in Syrien unübersichtlich. Trotz erster positiver Signale der neuen Machthaber sind die Christen im Land besorgt. Nahost-Experte Matthias Vogt ordnet die Lage ein.

Einige Jahre war es still geworden um die Christen in Syrien. Das Assad-Regime schien sich mit der Hilfe Russlands, des Iran und der Hisbollah stabilisiert zu haben. Die in Syrien verbliebenen Christen und die Kirchenleitungen hatten sich mit der Situation arrangiert: Im Assad- geführten Syrien lobten die Bischöfe den säkularen Anstrich des Regimes – oder sie schwiegen. Im kurdischen Nordosten lobten sie die demokratischen Bestrebungen der dortigen Regierung und den Schutz der Minderheiten – oder sie schwiegen. In Idlib im Nordwesten konnten sie unter dem Druck der islamistischen Herrschaft nur schweigen. Kritik war nirgends möglich.

Jetzt hat sich innerhalb von nur zehn Tagen die Lage dramatisch verändert. Was vor einigen Wochen noch niemand für möglich gehalten hatte, ist eingetreten: Das Regime ist gestürzt, Baschar al-Assad hat das Land verlassen, die bewaffneten Aufständischen kontrollieren die Hauptstadt Damaskus und das gesamte Land außer dem kurdischen Nordosten.

Was kommt, ist völlig unklar, nicht zuletzt deshalb, weil bislang keiner sagen kann, auf welches gemeinsame Programm sich die Aufständischen, die sich aus sehr unterschiedlichen Gruppierungen zusammensetzen, einigen werden und ob eine Einigung überhaupt möglich ist. Auch ist mehr als ungewiss, wie der Wille des syrischen Volkes, der in diesen Tagen so oft beschworen wird, zum Ausdruck kommen soll. Denn in dem bürgerkriegsgeschüttelten Land, dessen halbe Bevölkerung sich seit Jahren innerhalb oder außerhalb der Landesgrenzen auf der Flucht befindet, lassen sich demokratische Wahlen nicht so einfach durchführen.

Ob Christen zukünftig in der Gesellschaft Syriens noch eine Rolle spielen werden, ist offen. Von den 1,5 Millionen Christen, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien lebten, sind wohl nur noch 250000 im Land. Kirchen sind zwar in den historischen Innenstädten von Damaskus, Homs und Aleppo unübersehbar, aber in den dicht bevölkerten Neustädten gibt es weder Kirchen noch Christen. Die allermeisten syrischen Muslime haben mit Christen in ihrem eigenen Land noch nie etwas zu tun gehabt.

Laut vernehmbar war das Schweigen der Patriarchen und Bischöfe in den Tagen des Vormarsches der Aufständischen. Nachdem sich einige von ihnen in den letzten Jahren eng an die Seite Assads gestellt hatten, herrscht offensichtlich Ratlosigkeit, wie mit der neuen Situation umzugehen ist. Vorsicht scheint bis jetzt das Gebot der Stunde. Nur ein Bischof hat bisher eindeutig die neue Freiheit begrüßt.

Beruhigend ist, dass die befürchteten Übergriffe auf Christen oder Kirchengebäude ausgeblieben sind, ja die Anführer der Eroberer Aleppos das Gespräch mit den Kirchenleitungen dort gesucht haben. Überraschend positiv nehmen christliche Gläubige, die sich über Social Media äußern, die Veränderungen wahr. In diesen Posts spürt man Erleichterung, ja Freude über das Ende der Terrorherrschaft Assads, die in den letzten Jahren auch die wirtschaftliche Erholung Syriens blockiert hat. Doch Mahnungen, die Vielfalt des Landes mit seinen Religions- und Volksgruppen zu respektieren, lassen auch hier eine gewisse Sorge durchscheinen. Aber es bleibt die Hoffnung auf einen neuen Anfang und eine bessere Zukunft.

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