Adventsmeditation IVFlüchtigkeit

Wenn wir Jesu Spuren folgen wollen, können wir nicht an Ort und Stelle verharren, sondern müssen aufbrechen.

Da stand er auf, nahm in der Nacht das Kind

und seine Mutter und floh nach Ägypten.

Matthäus 2,14

Kein chemisches Labor ohne ihn – den Lösungsmittelschrank. Er sorgt für die sichere Ableitung von Gasen flüchtiger Substanzen; Stoffe, die schon bei Raumtemperatur verdampfen, ihr altes Dasein verlassen, sich verflüchtigen.

Flüchtig – das Wort begegnet uns häufig. In den berüchtigten Flüchtigkeitsfehlern, bei flüchtigen Bekanntschaften, bei Menschen und Tieren, die gezwungen sind zu flüchten. Und immer liegt etwas Unstetes, Bewegtes im Kontext dieses Wortes.

Unstet und bewegt war auch die Zeit um Jesu Geburt. Wir feiern heute Advent und Weihnachten gern als heimelige, gemütliche Zeit. In vielen Familien sehnt man sich nach Beständigkeit und Harmonie, oft vergeblich. Gilt es, einen beseelten Moment der tiefen Freude ganz festzuhalten? Einen Moment, der in seinem Ursprung jedoch äußerst fragil war und sich im Unterwegssein ereignete?

Jesu Eltern, sie waren unterwegs nach Bethlehem, als das Kind in karger Umgebung zur Welt kam. Die Hirten, sie waren unterwegs mit der Herde. Die drei Weisen, auch sie waren auf der Wanderung. Von Gemütlichkeit keine Spur. Kaum war Jesus dem bergenden Schoß der Mutter entbunden, war die kleine Familie gezwungen weiterzuziehen, ihr altes Dasein zu verlassen, zu flüchten. Hinein in die Fremde und unterwegs in der Fremde. Das ist Wesenszug der weihnachtlichen Zeit. Das Unterwegssein, es wird auch die Zeit des Wirkens Jesu prägen.

Trotz unserer großen Sehnsucht, freudig an der Krippe zu verweilen, staunend innezuhalten, ahnend, was die Geburt dieses Kindes zu bedeuten hat – es wird nicht viel mehr als ein kurzes Anbeten bleiben, denn die Welt schlägt zu, reißt uns wieder hinein in das Strömen und Strudeln des Alltagslebens. Wenn wir Jesu Spuren folgen wollen, dann können auch wir nicht an Ort und Stelle verharren, sondern müssen aufbrechen. Nicht, um uns von der Bewegung der Welt fortreißen zu lassen, sondern um ganz bewusst Schritte in ihr zu gehen, auch wenn sie in die Fremde führen. Oft wird uns die eigene innere Fremde zur Begleiterin, selbst wenn wir uns in vertrauter Umgebung aufhalten. Auch und gerade im Advent und an Weihnachten kann uns das widerfahren. Wenn wir uns darauf einlassen, können sich andere Perspektiven dieser Festzeiten eröffnen. Wir können Jesus nicht an der Krippe festbinden, so gern wir dieses Bild auch haben. Doch wir können die in die Flucht hinein geborene Flüchtigkeit dieses Ereignisses feiern, die Größe GoTTes, die die ganze Welt in einen Augenblick hineinzulegen vermag. Wir dürfen aus diesem Staunen heraus unseren Proviant packen, um Jesus auf dem Weg zu folgen. Bis zum Kreuz. Und darüber hinaus. Vertrautes zurücklassend, uns aus eigenen Erstarrungen verflüchtigend, uns selbst entziehend hinein ins Fremde. Vertrauend auf Christus als stets wirksames Lösungsmittel, der sich in keinen Sicherheitsschrank der Welt ein- und wegsperren lässt.

 

Weitere „Fährten Gottes in der Welt“ hat Paulina Kleinsteuber in dem Buch „Libellenflug und Windgeflüster“ beschrieben (Verlag Herder, Freiburg, 192 Seiten, 22 €).

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