Genießen hat mit Spiritualität zu tun. Das Ziel des geistlichen Lebens – so sagen es die mittelalterlichen Theologen – ist die fruitio Dei, das Genießen Gottes. Wenn das Genießen Gottes das Ziel unseres Lebens ist, dann steckt dahinter ein anderes Gottesbild und Menschenbild, als es in weiten christlichen Kreisen üblich ist. Es ist nicht in erster Linie der fordernde Gott, sondern der Gott, der für den Menschen den höchsten Genuss bedeutet. Und das führt auch zu einem anderen Selbstbild. Nicht der Asket, der auf alles verzichtet, sondern der Mensch, der fähig ist zu genießen, leuchtet in dieser Theologie auf.
Rudolf Walter in: „Genießen. Was schön ist und guttut“ (Verlag Herder, Freiburg 2024)