CHRIST IN DER GEGENWART: Frau Pirker, Sie haben soeben den Sammelband „Religion auf Instagram“ veröffentlicht. Was fasziniert Sie an dieser Plattform, die viele vor allem mit schönen Bildern verbinden?
Viera Pirker: Als Instagram vor etwas über zehn Jahren gegründet wurde, war dieser Ort tatsächlich zunächst zum Bilder-Teilen gedacht. Er hat sich aber relativ schnell zu einer Plattform gewandelt, die direkte Verbindungen zwischen Menschen ermöglicht. Zudem hat Instagram auf beispiellose Weise auf der ganzen Erde die Wahrnehmung der Welt verändert: Es hat sehr großen Einfluss darauf, wie viele Menschen heute ihre Reise planen, was sie essen, wie sie ihre Wohnung einrichten. Das betrifft vor allem die Generation der jungen Erwachsenen, aber es sind natürlich auch ältere Altersgruppen vertreten.
Welche verschiedenen religiösen Formen und Formate gibt es auf Instagram im christlichen Kontext?
Es gibt fast nichts, was es im analogen Leben nicht auch gibt: Auf Instagram kann man sich zum Rosenkranzbeten treffen, moderne Andachten abhalten, gemeinsam die Bibel lesen, religiöse Bildungsangebote beziehen oder – zum Beispiel unter dem Hashtag #ansprechbar – seelsorgliche Hilfe finden. Was auf Instagram natürlich nicht geht, sind die sakramentalen Vollzüge, die ja das Haptische benötigen.
In Ihrem Buch lernt man auch den sogenannten Hashtag-Aktivismus kennen, bei dem sich Menschen unter einem gemeinsamen Schlagwort zusammenschließen. Die Initiative #OutInChurch hat so begonnen.
Ja, so werden alte Hierarchien auf den Kopf gestellt und Marginalisierten eine Stimme verliehen – eigentlich etwas zutiefst Christliches. Die Mehrheiten erzeugen sich auch auf Instagram ganz anders, weil eine bestimmte gelebte Religiosität oder auch spirituelle Fragen auf andere Weise sichtbar werden und präsent sind. Und jedes religiöse Individuum kann hier auf Gleichgesinnte treffen, die der eigenen Spiritualität entsprechen. Das „feministische kollektivistische Andachtskollektiv“ hat beispielsweise während der Pandemie ganz neue Andachtsformen entwickelt. Andere Gruppen stellen die Glaubensfragen in der Gegenwart nochmal neu, erweitern Perspektiven und ermöglichen Christsein mit einem ganz breiten Spektrum.
Daneben gibt es auch ein paar offizielle kirchliche Accounts, wie der von Papst Franziskus, der sogar über neun Millionen Followerinnen und Follower hat.
Dieser Account ist die größte katholische Erfolgsgeschichte. Papst Franziskus ist als wichtige religiöse Führungspersönlichkeit direkt von Instagram angefragt worden. Vermutlich ist einer der Instagram-Gründer katholisch? Es ist inzwischen der größte internationale katholische Account und hat eine sehr erfolgreiche eigene Sprache entwickelt. Diese Offenheit für verschiedene Verkündigungs- und Präsenzformate im katholischen Bereich finde ich sehr spannend und schön.
Abgesehen davon zeigt die katholische Kirche nicht allzu viel Präsenz auf Instagram – dabei könnte sie auf diesem „modernen Marktplatz“ doch eigentlich viel Potenzial entfalten, oder?
Absolut! Der Unterschied zum Marktplatz ist jedoch: Man kann auf Instagram auch sehr gut wegschauen. Sozialpastorale Accounts oder die Thematisierung von Leid, Sterben oder Armut funktionieren auf dieser Plattform nicht so gut, weil man sich dem dort nicht aussetzen will. Instagram ist für viele eher ein inspirativer Erholungsort. Solche diakonischen Perspektiven existieren zwar durchaus, aber sie haben nicht die Followermengen und Klickzahlen, die ihnen – entsprechend der Bedeutung des Diakonischen im Christlichen – eigentlich zukommen müssten. Das ist auch mein Kritikpunkt an der religionsbezogenen Kommunikation auf Instagram. Es hat aber auch damit zu tun, dass Instagram auf den Smartphones stattfindet und die nicht der Ort sind, an dem ein solcher Einsatz, das Unterstützen und das Helfen, geschieht, das passiert vor allem, ganz analog, in den Gemeinden und Initiativen.
Was die Bildsprache angeht, ist der Katholizismus eigentlich sehr Instagram-tauglich: Wir haben bildstarke Rituale und Traditionen, wie etwa das Aschekreuz…
Ja, und solche Dinge sind auch vielfach sichtbar, aber man könnte das noch spannender nutzen! Der Katholizismus ist natürlich mit Inszenierungen vertraut, das funktioniert jedoch nicht in jeder Hinsicht. Bei Insta-gram sind die persönliche Bindung sowie eine spezifische Kommunikation wichtig. Man muss sein Gesicht zeigen und sehr kontinuierlich sichtbar sein. Aber es gibt dort zum Beispiel tolle Ordensleute wie Sr. Sophia, die ihr Leben im Kloster zeigt und darüber hinaus die Hoffnung in die Welt trägt. Auch Anselm Grün ist mit seinem Engagement auf der Plattform seit der Corona-Zeit sehr erfolgreich und tut den Menschen dort Gutes.
Tatsächlich hatte ich auch mal mit einem Geistlichen in den Instagram-Direktnachrichten eine Art Beichtgespräch, das mir sehr geholfen hat.
Das ist interessant und erzählt auch von dieser ganz erstaunlichen Nähe und Beziehung, die man zu einer Person, die man vielleicht eigentlich nur aus dem Internet kennt, entwickeln kann. Und das unterscheidet die gängigen Großinfluencer auch von religiösen Influencern: Letztere sind oft sehr an einem direkten Kontakt und einer persönlichen Beziehung und nicht an Marketing interessiert. Der erstaunlich intime Raum des eigenen Smartphones ist nicht zu unterschätzen!
Instagram ist also gar nicht so oberflächlich, wie manche vielleicht denken?
Genau. Das hat ja stark mit der eigenen Entscheidung zu tun, wie viel Tiefe man zulassen will. Mir ist es als Mediendidaktikerin zudem ganz besonders wichtig, daran zu erinnern, wie viel Menschen heute über Soziale Medien lernen: Wie ich koche, das Fahrrad repariere, Kinder erziehe, mich schminke… Genau das passiert auch im Feld der religiösen Bildung. Und deswegen ist es mir so wichtig, dass wir diesen Raum als einen Ort betrachten, wo man etwas lernen oder auch etwas anbieten kann. Die Schwierigkeit ist, dass es mit Blick auf den Algorithmus sehr gute Angebote sein müssen, damit sie eine größere Reichweite erhalten. Ich verstehe auch nicht, warum es nicht viel mehr Ehe-Kommunikation vonseiten der Kirchen gibt. Hochzeit ist ein Riesenthema auf Instagram! Eheleben, Familien- und Erziehungsfragen sind dort ein riesiges Feld! Hier hinein könnte man eigentlich sehr gut mit einer bestimmten Orientierung oder einem speziellen Hintergrund kommunizieren.
Wenn sich Leserinnen und Leser inspiriert fühlen, einen Gemeinde-Account zu eröffnen – was würden Sie raten?
Da würde ich auf Tobias Sauer von @ruach.jetzt verweisen, der auch in unserem Buch dafür Ratschläge gibt. Er arbeitet in diesem Feld und hat beispielsweise herausgearbeitet, dass man Instagram nicht mit einem Schaukasten verwechseln darf, im Sinne von: „Morgen findet das und das statt.“ Damit erreicht man dann natürlich nur die 300 Leute, die sich wirklich dafür interessieren. Aber wenn der Pfarrer oder die Pastoralreferentin aus ihren Handlungen, aus ihrer Seelsorge, von sich und von persönlicher Anbindung erzählen, dann kann das viel interessanter sein, so wie es beispielsweise die Pfarrerin und Mitglied im Rat der EKD Josephine Teske auf @seligkeitsdinge_ tut. Man sollte sich die Frage stellen: Was will ich eigentlich senden, wozu will ich erzählen und kommunizieren? Ein Schaukasten ist schon in Ordnung, aber das personale Prinzip hat in der Kirche immer noch Vorrang und auch eine Begründung, und es ist zudem etwas, was Instagram sich ganz besonders wünscht. Und man muss natürlich vor allem Lust darauf haben – gerade auf das Spielerische und Experimentelle!
VIERA PIRKER, PAULA PASCHKE (HG):
RELIGION AUF INSTAGRAM
Verlag Herder, Freiburg 2024, 392 Seiten, 38 €