Das Klima ist nicht der Elefant im Raum, sondern das Klima ist der Raum.“ Mit dieser Definition steckt Luisa Neubauer den Rahmen für ihre Gedanken ab – und, so ihre Überzeugung, für jede Form von zielführendem und nachhaltigem Handeln in einer krisengebeutelten Zeit wie der heutigen. Dass wir unseren neuen Podcast mit der Geografin und Klimaaktivistin beginnen, hat einen doppelten Grund. Zum einen stellt der fortschreitende Klimawandel wie kaum eine andere Krise alle Menschen weltweit vor gemeinsame Herausforderungen. Das Klimathema steht also in gewisser Weise selbst am Anfang und bedingt zahlreiche andere Krisen, denen sich die Menschheit heute und in Zukunft stellen muss: Ressourcenknappheit, wirtschaftliche Transformationen, Fragen der globalen Kräfteverschiebung und der innergesellschaftlichen Lastenverteilung, aber auch klimabedingte Migration. Wenn das Klima der Raum ist, hängt alles zusammen.
Zum anderen wollten mein Moderatoren-Kollege Achim Budde und ich mit der Wahl einer jungen, weiblichen Stimme zum Einstieg deutlich machen: Die Aufgaben unserer Zeit können wir nur meistern, wenn wir generationen-, geschlechter-, milieu- und parteiübergreifend zusammenarbeiten. Fast anderthalb Stunden stand uns die gebürtige Hamburgerin mit ihrem profunden Wissen zur Verfügung und konterte unsere Fragen mit Scharfsinn und viel Witz. Das Schöne am Podcast: Neubauers gewinnende Stimme können Sie nun jederzeit nachhören. Ein paar inhaltliche Anreize aus unserem Gespräch möchte ich Ihnen hier schon liefern.
„Wenn die Tierarten sterben, dann müssen wir uns morgens, mittags und abends fragen, was wir essen wollen. Denn die Artenvielfalt ermöglicht erst unsere Lebensmittelproduktion. Wenn die Durchsetzung der Wasserkreisläufe mit Plastik voranschreitet, dann werden wir immer größere Probleme mit sauberem Trinkwasser und sauberen Böden bekommen.“ So veranschaulicht Neubauer ihre anfängliche Gleichung: Je instabiler der Klimaraum werde, desto schwieriger werde es auch, alle anderen Probleme zu lösen. Aus diesem Grund plädiert sie dafür, das Augenmerk auf Synergie-Maßnahmen zu richten, die mehreren Krisen gleichzeitig gerecht werden. Das sei etwa bei Investitionen in erneuerbare Energien der Fall, die nicht nur den CO2-Ausstoß reduzieren, sondern zudem Arbeitsplätze sicherten und Deutschland langfristig unabhängig von externen Energielieferanten machten.
Dabei ist für die Hauptorganisatorin der deutschen Fridays for Future-Bewegung klar: Auch wenn der Erhalt der Natur aufgrund ihrer eigenen Würde, wie sie in der Schöpfungstheologie zum Ausdruck komme, eine wertvolle Motivation sein könne, darf Klimaschutz kein Selbstzweck sein. Im Zentrum der Klimabewegung stehe daher der Mensch und das Anliegen, zukünftigen Generationen eine lebensfähige und lebenswerte Umwelt zu vermachen.
Diesen Blick auf den Menschen empfiehlt Neubauer auch in wirtschaftlichen Fragen. Klimaschutz habe oft das Image, zu kostspielig zu sein, und sei im zurückliegenden Wahlkampf fast ganz von der Tagesordnung gewischt worden. Das Gegenteil sei aber der Fall: „Wenn wir eine Wirtschaft schützen um den Preis des Klimas, um im zweiten Schritt das Klima retten zu können, das aber nicht auf uns wartet – dann verlaufen wir uns.“ Man dürfe nicht vergessen, dass es die Wirtschaft nicht gebe. Für Neubauer besteht sie aus den Menschen, die ihre Arbeitskraft und ihre Kreativität investieren. Sie fragt: „Hat es dann nicht auch mit Respekt und Würde zu tun, eine Wirtschaft zu gestalten, in der Menschen wissen, ich arbeite nicht nur, um meine Miete zu bezahlen, sondern damit meine Kinder auf einem intakten Planeten leben können?“
Immer wieder im Verlauf des Gesprächs kommt Neubauer auf ihre kirchliche Sozialisation und deren Bedeutung für ihr gesellschaftliches Engagement zu sprechen. Die Zeit der kirchlichen Jugendarbeit habe sie maßgeblich geprägt und bestärke sie bis heute. „Ich bin meiner Kirchengemeinde in Hamburg deshalb so verbunden, weil ich dort als junge Person ernstgenommen wurde.“ Nach ihrer Konfirmation habe sie die Ausbildung zur Jugendleiterin gemacht und bereits kurz darauf selbst Gruppenstunden abgehalten. Sie erinnere sich noch sehr genau an ihre damaligen Erfahrungen. „Ich war so klein, als ich 15 Jahre alt war. Aber auf einmal war ich selbst für andere verantwortlich und ich habe mir gedacht: Das traut man mir zu! Das hat sich so toll angefühlt, dem auch gerecht werden zu dürfen.“ Neben der Vertrauenskrise, über die heute häufig gesprochen werde, macht Neubauer in der Gesellschaft auch eine virulente Zutrauenskrise aus. „Und im kirchlichen Engagement lernt man dieses Zutrauen.“
Was seine inhaltliche Komponente betrifft, betrachtet die Protestantin den Glauben vor allem als Ressource der Hoffnung. Gerade angesichts von politischen oder persönlichen Rückschlägen sei Resignation der falsche Weg. „Für mich ist Hoffnung nicht die Garantie, dass alles gut wird. Das wäre naiver Optimismus. Hoffnung ist für mich das Versprechen, das wir der Welt geben, auch dann nach Licht zu suchen, wenn es dunkel wird“, so Neubauer. Diese Kraft sei in ihrer aktivistischen Tätigkeit unverzichtbar und habe sie auch im Privatleben getragen, etwa als ihr Vater verstorben sei. In dieser schwierigen Phase von Angst und Überforderung habe ihr das Gefühl geholfen, von jemandem oder etwas im Universum getragen zu werden. „Das nimmt mir nichts ab von dem Schmerz, den ich habe, aber es gibt mir die Gewissheit, dass ich die Kraft entfalten kann, da durchzukommen. Das ist mein Umgang, wie ich Spiritualität pflege.“
Im Kampf für mehr Klimagerechtigkeit identifiziert Neubauer aber auch Schwachpunkte der christlichen Lehre. So sei ihr Hang zur Apokalyptik nicht immer hilfreich: „Es gibt im Klimaschutz kein ‚zu spät‘, es gibt nicht den point of no return. Es gibt planetare Kipppunkte, die uns in problematische Lagen zwingen. Aber in denen haben wir immer noch einen Möglichkeitsraum, der dann nur stark beschränkt ist.“ Wenn man überhaupt vom Weltuntergang sprechen wolle, dann besser vom Untergang der vielen kleinen Welten, von zerstörten Hurrikan-Gebieten oder ausgetrockneten Seen. Viel entscheidender sei aber, auch die vielen kleinen Erfolge sichtbar zu machen und den Menschen das Gefühl zu vermitteln, nicht alleine dazustehen.
Die theologische Annahme dürfe nicht sein: Gott wird das richten! Vielmehr gewährt Gott nach Neubauers Verständnis der Botschaft Jesu dem Menschen Kraft, wenn er loszieht, um das Richtige zu tun. Und das habe immer auch eine politische Dimension, denn: „Das Beste, was den Rechtsradikalen und den Klimaleugnern passieren könnte, das wäre die Resignation einer demokratischen Mehrheit.“ Hier komme den Kirchen wieder eine zunehmend wichtige Rolle zu, um einerseits Zukunftsverantwortung zu generieren und andererseits Räume des Abschieds offen zu halten.
Ob mit Gott oder ohne, gravierende Unterschiede sieht die Geografin in den Möglichkeiten, sich auf drohende Veränderungen im Bezugsraum Klima einstellen zu können – zwischen Arm und Reich, zwischen globalem Süden und Norden, zwischen Menschen, die auf ein erfülltes Leben zurückblicken, und jenen, die eine ungewissen Zukunft vor sich haben. Die junge Generation sei heute politisch hoch engagiert, doch würden mitunter überzogene Erwartungen an sie gerichtet, gemessen an ihren tatsächlichen Partizipationsmöglichkeiten. „Wenn man sagt, ich mache da nicht mit, weil ihr hier unsere Zukunft verbrennt, dann fühlen sich ältere Menschen oft gekränkt.“ Was da hilft? Miteinander sprechen. Im Podcast haben wir damit schon einmal angefangen – hören Sie gerne rein!