Beatrice von Weizsäcker hat kein Buch geschrieben, das die Seligpreisungen erklärt. Sie nimmt vielmehr das Gespräch mit ihnen auf und fragt den, auf den die Seligpreisungen zurückgehen. Sie will es genau wissen. Wie immer, wenn sie fragt. Das können alle bestätigen, die sie ein bisschen besser kennen. Auch Jesus gehört zu denen. Er kennt sie. Davon ist sie überzeugt. Sie wünscht ihn sich an ihrer Seite. Sie beansprucht ihn für sich. Nicht auf eine exklusive Weise, sondern eher wie einen guten Freund, der in seinem Leben auch noch Platz für viele andere Freundschaften hat und in jeder einzelnen Begegnung immer ganz präsent ist. Und sie erwartet, dass er ihr auf ihre Fragen antwortet, und zwar so, dass sie es verstehen kann. Sie hat viele Fragen. Und Bitten. Mit einer innigen Bitte beginnt auch ihr intensives Gespräch: „Gib acht auf meinen Bruder.“ Sie schreibt diese Worte an dem Abend, an dem ihr Bruder Fritz ermordet wurde. An dem Punkt, an dem andere Menschen aufhören würden, mit diesem Jesus zu sprechen, beginnt sie.
Was daraus entsteht, sind Gespräche, wie ich sie mit ihr auch schon erleben durfte. Keine langen Reden. Beatrice von Weizsäcker ist klar und schnörkellos. Das tut so gut beim Lesen. Denn ihre Sprache ist ehrlich, auch dann, wenn sie im besten Sinn fromm ist, wenn sie aus traditionellen Gebeten oder Liedern zitiert. Nicht weil man das so machen muss, sondern weil sie ihr persönlich wichtig geworden sind und weil sie für sie eine Bedeutung haben. Und es ist, als passe sich Jesus an. Er hält keine Predigten und verkündet keine ewigen oder allgemeingültigen Glaubenswahrheiten, sondern er spricht in kurzen klaren Sätzen: Besonders wohltuend ist dabei immer wieder das gemeinsame Schweigen der beiden. Manchmal schmunzelt Jesus auch nur. So zum Beispiel, wenn sie zusammen in Beatrice von Weizsäckers Pfarrkirche, in Christkönig, eine Kerze anzünden – für die Kirche.
Ich gestehe, dass ich eigentlich eher skeptisch bin, wenn mir Menschen von Gesprächen mit Jesus erzählen oder darüber schreiben. Bei Beatrice von Weizsäcker löst sich diese Skepsis bereits nach den ersten Zeilen auf. Denn ihre unmittelbaren Dialoge mit Jesus sind persönlich und dabei alles andere als peinlich. Ihr Jesus hat nicht nur Antworten auf Lager, sondern auch Fragen. Als wolle er wirklich verstehen, was seine Gesprächspartnerin glaubt. Er interessiert sich wirklich für ihr Leben.
Sie gehen gemeinsam an Orte, die ihr etwas bedeuten, nach Wackersberg, nach Jerusalem, aber auch nach Oberammergau, in einen Münchener Konzertsaal oder in ein Wirtshaus, in dem Jesus gleich den Herrgottswinkel entdeckt. Es tut einfach gut, den beiden zuzuhören. Wenn sie zum Beispiel auf der Via Dolorosa ihre Erfahrungen austauschen und darüber sprechen und schweigen, wie das ist, wenn man fällt und wieder aufsteht. Vom Ölberg gehen beide „heiter, trotz der schweren Themen“ zurück in die Jerusalemer Altstadt, den herausfordernden Satz „Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden“ haben sie dabei auf den Lippen. Dass mitten in der Trauer so etwas wie Momente wirklichen Trostes möglich sind, wird an dieser Stelle intensiv spürbar. Da steht zwischen den Zeilen dieses so erlösende Wort „Unbegreiflich“. Spätestens hier verstehe ich, warum ich diesen Gesprächen so gerne lausche: Weil sie mir nichts aufzwingen, mir kein fremdes Glaubensbekenntnis überstülpen. Es geht der Autorin nicht um richtig oder falsch, es geht um das Leben, wie es wirklich ist – oft so vielschichtig, gleichzeitig traurig und voller Trost und immer wieder unbegreiflich.
Wenn Beatrice von Weizsäcker über Begriffe wie „Sanftmut“ nachdenkt, dann werde ich als Leser von ihr mit auf eine Reise genommen – in und hinter die Sprache, die ihr so wichtig ist und die sie so genau nimmt. Ich kenne kaum einen anderen Menschen, der so viel Wert auf Sprache legt und voller Neugier Dialoge mit einzelnen Worten aufnehmen kann als seien es Lebewesen, die sie wirklich verstehen will. Und ich kenne kaum einen Menschen, der es so ernst nimmt mit dem Begriff der Gerechtigkeit wie die gelernte Juristin, die sich beinahe täglich auf Social Media zu Wort meldet, wenn die Würde und die Rechte von Menschen bedroht oder mit Füßen getreten werden, in der Politik und auch in der Kirche. Das „Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit“ ist kein frommer Spruch, es ist eines der bestimmenden Lebensthemen der Autorin.
Dieses Buch ist durch und durch spirituell, ehrlich, lebensnah und deshalb so besonders. Es ist ein liebevolles Buch, so liebevoll wie die feinen Weg-Zeichnungen, die zwischen den Texten zum Mitgehen einladen. Beatrice von Weizsäcker macht mit ihrem Glauben, mit ihren Gedanken und Gebeten, mit „ihren“ Seligpreisungen Mut, Jesus auf diesem Weg meine eigenen Fragen zu stellen. Es besteht die Möglichkeit, dass er antwortet. Das Buch, das Beatrice von Weizsäcker geschrieben hat, ist hierfür ein wunderbarer Beleg.