Theologie, poetisch gelesenSie werden lachen – die Poesie

Erich Garhammer lauscht der „verfremdenden Sprache“ nach, die ihn fast seine Karriere gekostet hätte.

Auf den ersten Seiten kommt Erich Garhammer gleich auf den Punkt: „Erst im Nachhinein“, bekennt der emeritierte Pastoraltheologe der Universität Würzburg, der sich nicht aufs Altenteil verlegt hat, „wurde mir klar, weshalb ich mich für das Studium der Literaturwissenschaft und Theologie entschieden habe: ich wollte eine Theologie entwerfen, die den Sehnsüchten der Menschen in einer Sprache von heute eine Heimat bietet unter dem Dach der Kirche.“ So wurde er zum Brückenbauer zwischen Theologie und Literatur. Ironie der Geschichte: Garhammer ruft in Erinnerung, dass ihm das am Anfang seiner Karriere, als er 1991 den Ruf nach Paderborn auf den Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Homiletik erhielt, wegen eines Gutachtens, das ihm „eine journalistisch-verfremdende Sprache und einen Hang zur Empirie“ attestierte, Bekanntschaft mit der Glaubenskongregation einbrachte. Eine Welt brach für ihn damals zusammen, denn Joseph Ratzinger, der einst bewunderte Lehrer aus den ersten Studentenjahren („ein theologisches Genie“), war dafür verantwortlich – ein Trauma, das Garhammer in seinem vorletzten Buch Genie und Gendarm (vgl. CIG 42/2023, S. 7) ausgebreitet und verarbeitet hat.

„Angesichts einer Kirchensprache, die häufig geprägt ist von Floskeln, Klischees, Allgemeinplätzen oder von einer positivistischen Tatsachensprache, wollte ich die Metaphorik der Glaubenssprache zunächst für mich selbst, aber dann auch für die Menschen von heute entdecken helfen.“ Deswegen also der Gang zu den Dichtern. Und, damit verbunden, das Plädoyer für einen poetischen Glauben: „Poesie erhebt in den Adel, in ihr wird das Kleine und Unscheinbare groß.“ Reiner Kunze wurde dabei zum Paten. „Wir sind, wenn wir Augen haben für das Unscheinbare und Überraschende, alle Blaublütler. Dieser Adel zog mich in seinen Bann: eine Sprache, die sich bückt und Menschen und Dingen zugeneigt ist.“

Durch die Installation PYLON des Düsseldorfer Künstlers Martin Gerwers für die Kunst-Station Sankt Peter Köln fühlte sich Garhammer motiviert, seine literaturtheologischen Arbeiten „noch einmal zuzuspitzen“ – sie ziert das Cover. In zwei Teilen tut er dies, unaufdringlich, aber bestimmt: Zunächst zeigt Garhammer, wie Theologen mit Literatur umgegangen sind und wie sie damit ihre Theologie „zeitgenössisch“ gemacht haben. Dann erfolgt ein Parcours durch die Literatur, der aufdeckt, wie stark diese zentrale theologische Themen aufgreift und damit zu einer neuen Sprache beiträgt. „Es geht mir dabei“, informiert das Vorwort, „um einen poetischen und zeitgenössischen Glauben, der Menschen des 21. Jahrhunderts eine (Sprach-)Heimat bieten kann.“

In Anlehnung an die vielzitierte Notiz Bert Brechts „Sie werden lachen – die Bibel“ gelangt Garhammer über den Literaturwissenschaftler Heinrich Detering, der sich lakonisch von Brecht und dessen Spott und Ironie absetzen wollte, zu der Feststellung: „Es wird höchste Zeit, nicht nur die Bibel, sondern auch den Glauben insgesamt in dieser polyphonen Weite, also wieder metaphorisch und poetisch, zu buchstabieren.“ Und wie? Seine These: „Sie werden lachen – die Poesie des Glaubens.“ Was er dann an Beispielen illustriert – Romano Guardini etwa, durch welchen sich auch ein Mies van der Rohe inspiriert sah („Das Einfache ist nicht simpel“) und der sich gegen einen bloß repetierenden Theologiebetrieb wandte, den er als „Gewäsch und Gemache“ empfand. Dann Heinrich Fries, der eine Vorlage zur Papstrede an Künstlerinnen und Künstler in der Katholischen Akademie in München (1980) lieferte: Die Kirche braucht die Kunst – und wenn sie einander im Blick behalten, inspiriert das beide zu Höchstleistungen. „Sie werden im wahrsten Sinne des Wortes miteinander ,spitz-fündig‘.“ Und schließlich Gottfried Bachl, der Salzburger Dogmatiker, der das Kunststück zustande brachte, nach zehn Jahren römischer Ausbildung „Poesie statt geistlicher Bemächtigung“ das Wort zu geben. Die sich ihm bietende „rhetorische und kultische Selbstbespiegelung“ der Kirche hatte ihn abgestoßen. Bachl wurde (mit einem traumatischen Ereignis bei seiner Diakonenweihe 1958, bei der er erst den Ring des Erzbischofs küssen musste, um die Hostie gereicht zu bekommen) bewusst: „Der Kirchenaufwand hat die Gottesnähe geschluckt, der Kirchenbetrieb war wichtiger geworden als die Jesusnähe, die Selbstfaszination der Kirche war zum heiligen Spiel verkommen.“ Frömmigkeit, die „die Augen vor der Wirklichkeit verschloss“, widerte Bachl genauso an wie eine Theologie, die sich in einer lingua perennis erging: einem „Ewigkeitston, der sich selbst genügte“, die aber mit keiner Silbe die geschichtlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts wie den Holocaust erwähnte. Ein bemerkenswertes Detail: Im Mai 2020 mit 89 Jahren verstorben, ließ sich Bachl am Sterbebett die Lyrik seiner Seelenverwandten Christine Lavant vorlesen. Unter dem Stichwort „Poetischer Emmausgang“ werden neben anderen auch Jan-Heiner Tück und Hans-Joachim Höhn genannt, der im August 2024 auf den Salzburger Hochschulwochen für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde.

„Überflüssig und notwendig wie Brot“ – das trifft etwas! „Poesie ist kein griffiger Satz für ein Poesiealbum. Poesie ist Konsequenz einer Berufung“ – „absichtslos wie Meditation“, wie Reiner Kunze im Anschluss an Jan Skácels Metapher „im Herzen barfuß sein“ formulierte: „Die poetische Verwandlung der Welt ist eine Zwillingsschwester des Glaubens“. „Fromm ohne Bekenntnis“ führt zu dem irischen Literaturnobelpreisträger Seamus Heaney, die „Mehrsprachigkeit der Poesie“ deckt Ulrike Draesner auf, „Bekehrung durch Poesie“ charakterisiert den israelischen Schriftsteller David Grossmann. „Poesie packt an der Gurgel“ führt zu Arno Geiger. „Poetischer Glaube oder todmüde Sprache der Prediger“ fasst das Anliegen des Schweizer Schriftstellers und Organisten Jan Lurvink zusammen, der seinen Interpreten Garhammer fragen lässt: „Warum sind die Prediger so wenig begnadet von ihrem Meister, von Jesus, von seinen Gleichnissen, von seiner Lebensnähe, von seiner Sprache, die zu neuem Leben anstiftet?“ Garhammers Frage und seine knappe Antwort überraschen am Ende nicht: „Gibt es dafür einen Lernort? Sie werden lachen – in der Poesie.“ Garhammers Plädoyer fasziniert, es ist anstrengend, es birgt Überraschungen, auch manche Polemik, etwa gegen einen deutschen Bischof und seine Beschäftigung mit Krippen („weil in ihnen der Naturalismus der Glaubenswahrheiten am besten gewahrt sei“).

„Spitz-fündig“ ist eine Reise an Lernorte. „Poesie“, stellt Garhammer fest, und man nimmt’s ihm ab, „ist mehr, als sich sagen lässt, sie schafft einen Ausdruck für das Unaussprechliche, sie gibt der Sprache die Chance, für Unsagbares Wörter zu finden, die mehr dem Verschweigen zuneigen als eilfertiger Rede. Poesie ist die Kunst, mit Worten ein Geheimnis zu wahren, ihm eine Gestalt zu geben durch Sprache, ohne es sprachlich zu verraten. Poesie ist mehr, als sich sagen lässt.“ Ein Karl Rahner würde „Poesie“ durch „Theologie“ austauschen. Schlaue Geister erraten es: Poesie hat mit Mystik zu tun!

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