Es gibt eine Szene aus der Corona-Zeit, die sich meinen Kindern tief ins Gedächtnis eingebrannt hat: Die allerstrengsten Lockdown-Regelungen waren gerade gelockert worden, so dass wir die Gelegenheit nutzten, endlich wieder einmal auf den Spielplatz zu gehen. Schnell entstand auf dem benachbarten Bolzplatz ein ausgelassenes Match zwischen den Kindern, die sich während der Schulschließung sehnsüchtig vermisst hatten. Wir Eltern standen daneben und beobachteten das lustige Treiben – erleichtert über die Bewegung und die Freude unsere Kinder nach Wochen voller Einschränkungen und Bedrücktheit. Wir hatten allerdings übersehen, dass der eingezäunte Fußballplatz offenbar noch offiziell gesperrt war. Plötzlich kam ein schwarzer Kleinbus mit getönten Scheiben die Straße zum Spielplatz hochgebraust. Ihm entstieg eine ganze Mannschaft von Polizisten in vollvermummter Montur (nein, nicht die netten Wachtmeister in Hemd und Polizeimütze aus dem Bilderbuch). Sie marschierten zum Bolzplatz und vertrieben die vor Schreck schier erstarrten Grundschuljungen lautstark vom Platz. Dann verschwanden sie wieder im Van und düsten davon. Zurück blieben acht verstörte Jungen, unsere weinende kleine Tochter und wir Eltern mit einem erschütterten Vertrauen in den Staat. Bis heute treibt dieses Erlebnis unsere Familie nachhaltig um.
Weitere Beispiele dafür, was Kinder während der Pandemie durchmachen mussten, sind natürlich vor allem die wiederholten wochenlangen Schulschließungen mit mehr oder weniger gut funktionierendem Homeschooling, die Ausgangssperren – und das dadurch erhöhte Risiko für häusliche Gewalt –, der fehlende direkte Kontakt zu Gleichaltrigen und Verwandten, das Wegfallen jeglicher Freizeit- und Sportaktivitäten, aber auch der schmerzhafte Verzicht auf scheinbar alltägliche und doch so wichtige Dinge wie Kindergeburtstage, Schwimmbad oder Kino. Bis heute leiden Kinder und Jugendliche unter den Spätfolgen: Übergewicht, Bildungslücken sowie psychische und soziale Störungen bis hin zu Traumata. Manche Psychologen sprechen inzwischen sogar von einer „verlorenen Generation“. Der scheidende Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat rückwirkend eingeräumt, dass die Schulschließungen „einfach zu radikal“ und „zu lange“ waren. Fünf Jahre nach dem ersten Lockdown und mitten in den Koalitionsverhandlungen wird nun um die Aufarbeitung der Pandemie und den Umgang mit potenziellen Fehlern gerungen. Und erneut droht die Bevölkerungsgruppe, die mit am härtesten von den Maßnahmen getroffen wurde, aus dem Blick zu geraten: Kinder und Jugendliche.
Natürlich ist es wichtig, gesellschaftliche, politische und medizinische Aspekte im Auge zu behalten, um für eine mögliche neue Pandemie besser gewappnet zu sein. Aber es muss auch darum gehen, unseren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen! Es braucht nun dringendst einen massiven Ausbau an Therapieplätzen, gezielte und gut finanzierte Bildungskonzepte für Kitas und Schulen sowie mehr Förderung für Sport- und Freizeitvereine. Leider haben Kinder hierzulande keine sonderlich große Lobby und werden vermutlich nicht mit am „Aufarbeitungstisch“ sitzen. Umso wichtiger ist es, die Stimme für sie zu erheben und sich für ihre Belange starkzumachen. Und wer wäre mit seinem evangeliumsbasierten Grundauftrag des Einsatzes für die Schwachen besser für diese Aufgabe geeignet als die Kirchen! Ja, all diese Maßnahmen könnten den Staat viele Milliarden Euro kosten, aber es ist sehr gut investiertes Geld.