Man muss nicht gleich Carl Schmitts Politische Theologie bemühen, um Politik und Religion als oft unauflösbar verwoben zu begreifen. Es reicht schon, sich die jüngere Zeitgeschichte spätestens seit dem 11. September 2001 anzusehen, um festzustellen, dass der Satz aus Joh 15,19 „Ihr seid nicht von der Welt“ keinen Gläubigen gleich welcher Weltreligion bisher davon abgehalten hat, die Welt auch politisch zu prägen. Ob nun aber als „Licht der Welt“ (Mt 5,14) oder als Personen mit fragwürdigen Absichten, bleibt dem Einzelfall überlassen. Oft fällt die Unterscheidung nicht leicht.
1 | Berlin I. Im sich neu konstituierenden Bundestag sind auch wieder Abgeordnete vertreten, die sich offen zu ihrem christlichen Glauben bekennen. Die Reihe reicht von Friedrich Merz über das ehemalige Mitglied des ZdK Armin Laschet (beide CDU, beide katholisch), den ehemaligen Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD, protestantisch) bis zur AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch und dem Linken Bodo Ramelow (beide protestantisch).
2 | Berlin II. Für Ramelows Partei haben immerhin 29 Prozent der muslimischen Wählerinnen und Wähler gestimmt. Die Nachfolgepartei der religionsfeindlichen SED spricht sich heute gegen ein Kopftuchverbot aus, das Zuckerfest am Ende des Ramadan soll nach ihrem Willen offizieller Feiertag werden.
3 | Rom. Der Vatikan ist eine Wahlmonarchie, Italien eine Republik, dennoch sind die Beziehungen in der Gegenwart herzlich. Ministerpräsidentin Georgia Meloni war nicht nur die erste offizielle Besucherin am Krankenbett des Pontifex, sie war auch die erste Politikerin, die unmittelbar auf die Entlassung des kranken Papstes Franziskus aus der Gemelli-Klinik reagierte.
4 | Damaskus. Für Islamisten ist eine Trennung von Religion und Politik undenkbar. Also arbeitet Syriens neuer Herrscher Ahmad al-Sharaa an einer Verfassung, die ihm autokratische Rechte gibt, um seine Vorstellung einer religionskonformen Ordnung durchzusetzen. Der Präsident bestimmt ein Drittel der Volksversammlung sowie den Ausschuss, der die restlichen zwei Drittel auswählt. Die vergangenen Massaker lassen die Versprechen von einer Beteiligung religiöser Minderheiten in dem multiethnischen Land schal wirken.
5 | Jerusalem. Auf göttlicher Mission sehen sich auch evangelikale Zionisten, christliche Gruppen, deren Ziel es ist, möglichst viele Juden in „Zion“ zu versammeln. Dann käme nach ihrer Überzeugung Jesus Christus wieder, um das Endgericht einzuleiten. Mike Huckabee jedenfalls ist davon überzeugt. Nun wird er neuer US-Botschafter in Israel. Linke Gruppen in beiden Ländern laufen dagegen Sturm. Die Nominierung wurde auf Ende März verschoben.
6 | Istanbul. Dem Kampf gegen den Säkularismus und damit gegen das laizistische Erbe des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk hat sich auch der türkische Präsident Recep Tayyib Erdoğan verschrieben. In diesem Licht steht auch die Verhaftung seines Konkurrenten, des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoğlu, Mitglied der von Atatürk gegründeten Staatspartei CHP.
7 | Wien. Die österreichische FPÖ hingegen entdeckt den türkischen Islam. Zwar hatte die Partei den berühmten Slogan „Dahaam statt Islam“ erfunden, nun aber mit Mehmet Özay erstmals einen türkischstämmigen Kandidaten auf die Wahlliste der Wiener FPÖ gesetzt. Die Wählergruppe ist von ihrer Größe her relevant, weltanschaulich konservativ und wird als etablierter Gegensatz zu den „neuen“ Ausländern, also vor allem arabischen Muslimen begriffen.