Seit der Kuba-Krise 1962 ist die sicherheitspolitische Lage nicht mehr so gefährlich gewesen wie heute. So der CDU-Politiker Ruprecht Polenz in der zweiten Folge des Podcasts Vom Großen und Ganzen zum Thema „Deutschland in der Welt“. Polenz, der 19 Jahre lang als Abgeordneter im Bundestag aktiv und zeitweise Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses war, macht vor allem die militärische Aggression Russlands für die Verschärfung der Weltlage verantwortlich: „Putin strebt ein Europa von Wladiwostok bis Lissabon unter russischem Einfluss an.“ Die drängendste Aufgabe bestehe darin, diese imperialistischen Absichten zu stoppen.
Doch der Krieg in der Ukraine ist nur einer von vielen Bereichen, in denen Polenz verstärkte Bemühungen und mehr internationale Zusammenarbeit fordert. Gerade mit Blick auf die weltweite Bedrohung demokratischer Systeme, den politischen Umgang mit geflüchteten Menschen sowie den Klimaschutz müsse endlich mehr geschehen. Dabei ist der Münsteraner CDU-Politiker, der vielen durch seinen Social-Media-Auftritt bei X (früher Twitter) bekannt ist, nicht ohne Hoffnung: „Ich bleibe zuversichtlich, aber ich wäre gerne noch viel sicherer, als ich es im Augenblick sein kann.“
Im Verlauf des Gesprächs wird schnell deutlich, dass der Klimaschutz Polenz besonders am Herzen liegt. Die begonnenen Anstrengungen sieht er jedoch durch den fortschreitenden Zerfall des Multilateralismus gefährdet, also die schwindende Bereitschaft einiger Staaten, gemeinsame Ziele zu verfolgen. Seit der Wiederwahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA habe sich dieser Prozess rasant beschleunigt. Polenz kritisiert die US-amerikanische Politik, die nicht nur globale Auswirkungen habe, sondern auch der eigenen Demokratie schade: „Man sieht in den USA gerade einen Baustein nach dem anderen kippen.“ Die gezielte Umgehung rechtsstaatlicher Schutzfunktionen unter dem Deckmantel eines Bürokratieabbaus sorge für wachsende Ungleichheit bei der Verteilung von Geld und politischer Macht. Wo Tech-Milliardäre wie Elon Musk die Möglichkeit bekämen, sich publizistischen und politischen Einfluss zu erkaufen, ist für Polenz eine Grenze überschritten: „Für mich ist Demokratie neben Partizipation und Teilhabe vor allen Dingen auch Kontrolle von Herrschaft. Und deshalb wäre es dringend notwendig, diese Anhäufung von wirtschaftlicher, publizistischer und politischer Macht zu zerschlagen.“ Laut Polenz zielt Trump mit seiner Strategie einseitig auf die eigenen, kurzfristigen Machtinteressen ab und stellt diese über das Allgemeinwohl. Die offene Drohung Trumps, Europa die „Rückendeckung der Amerikaner“ zu entziehen, habe weitreichende Konsequenzen. Die EU-Mitgliedstaaten müssten sich darauf vorbereiten, ihre politischen Ziele im Ernstfall ohne die Amerikaner umsetzen zu können – etwa durch Bündnisse mit Ländern wie Australien.
In teils sehr persönlichen Gesprächsabschnitten erzählt Polenz über seine eigene Lebensgeschichte und den Beginn seines politischen Engagements. In der Nähe von Bautzen geboren, floh seine Familie aus der DDR nach Unterfranken, als er sechs Jahre alt war – eine Erfahrung, die ihn stark geprägt und für das Leid geflüchteter Menschen sensibilisiert habe: „Wer das Schicksal einmal miterlebt hat, der hat vielleicht ein anderes Verständnis für Menschen, die heute wegen Gewalt, wegen Krieg ihr Land verlassen müssen. Deshalb ist für mich eine humanitäre Asyl- und Flüchtlingspolitik von Beginn an außerordentlich wichtig gewesen.“ Allein schon aus demografischen Gründen sei die Gesellschaft heute auf Zuwanderung angewiesen, da Deutschland jährlich 1,5 Millionen Menschen verliere. Statt einer aufgeheizten Migrationsdebatte brauche es daher kluge Zuwanderungspolitik und mehr Durchlässigkeit in den Arbeitsmarkt.
Ausländerfeindliche Ressentiments lehnt Polenz entschieden ab. Denjenigen, die von einer gescheiterten Migrationspolitik sprechen, wirft er vor: „Wenn du dich über drei Jugendliche ärgerst, die sich an der Bushaltestelle schlecht benehmen und die vielleicht ein bisschen anders aussehen, als du es gewöhnt bist, dann verbuchst du das als schlechte Integration.“ Dies sei allerdings „mit Sicherheit eine große Fehlwahrnehmung, denn gelungene Integration fällt per definitionem nicht auf. Das heißt, die stellst du gar nicht in deine Bilanz ein.“ Viele öffentliche Einrichtungen funktionierten schon heute nur, weil dort auch Menschen mit Migrationshintergrund arbeiteten.
Eine Hauptaufgabe unserer Zeit sieht der Christdemokrat in der Stärkung der Demokratie. Es sei essenziell für das gesellschaftliche Klima, einen guten Umgang mit Personen zu pflegen, die sich politisch engagieren. Diesen Menschen werde oft zu wenig Dankbarkeit entgegengebracht: „Wir haben in Westfalen diesen Spruch: ‚Nichts gesagt ist gelobt genug‘. Und das ist eben eine falsche Kultur.“ Jeder und jede Einzelne könne etwas tun, um politisches Engagement attraktiver zu machen. Dabei unterstreicht Polenz die Bedeutung des Dialogs und des Ringens um Kompromisse: „Wir müssen viel mehr erklären, dass der Kompromiss das eigentliche Geschäft der Demokratie ist.“ Institutionen wie die Kirchen könnten hier eine Vorreiterrolle einnehmen, um neue Gesprächsräume zu öffnen.