Bei manchen Autoren fällt es schwer, die öffentliche Person von ihrem Werk zu trennen. Das gilt umso mehr bei einer so schillernd wie medial präsenten Figur wie dem kanadischen Psychologen, Bestseller-Autor und Internetaktivisten Jordan B. Peterson. Der streitbare Professor kleidet sich gern extravagant, provoziert auf X, dem ehemaligen Twitter, und gilt in progressiven, linksliberalen Kreisen allgemein als „Gott-sei-bei-uns“ des erhitzen Social-Media-Zeitalters und als verbaler Brandstifter. Eine Rolle, die Peterson sichtlich genießt. Ignoriert man diesen beidseitigen Kindergarten einmal, dann bleiben Petersons Bücher, wie das millionenfach verkaufte 12 Rules for Life oder vor einigen Jahren ein Konservatives Manifest. Beide entpuppen sich bei näherem Hinsehen als erstaunlich biedere, grundverwurzelte Anleitungen, wie ein „geordnetes und strukturiertes“ Leben in einer „chaotischen Welt“ gelingen kann.
Schon sein Erstling Maps of Meaning widmete sich dem Thema Religion – freilich, und hier wird es für die Theologen schwierig, stets aus der Sicht des interessierten Psychologen, der im Sinne eines C.G. Jung auf die Suche nach menschlichen Archetypen in den religiösen Schriften geht. Nun also Gott.
Auf fast 600 Seiten arbeitet sich Peterson durch die Bücher Genesis und Exodus. Konsequent deutet er die Texte hinsichtlich menschlicher und gesellschaftlicher Verhaltensweisen, Abweichungen und Konsequenzen richtigen oder eben falschen Handelns. Ziel ist stets die Verwirklichung des Potentials des Menschen, weniger eine ethisch zentrierte Theologie. Die Ethik ergibt sich aus der Akzeptanz der „richtigen“ Ordnung.
Peterson betreibt hier keine wissenschaftliche Theologie. Die von ihm zitierten Exegeten stammen meist aus dem späten 19. Jahrhundert. Gott – Vom Ringen mit einem, der über allem steht könnte als größtanzunehmendes Coaching-Buch betrachtet werden. Tatsächlich tut Peterson aber etwas sehr klassisch Rabbinisches: Er psychologisiert die Texte der Bibel. Damit wird der Mensch als Geschöpf nach dem Fall, umzürnt und verwirrt von Lastern, Lüsten und Versuchungen, nicht im Sinne eines Augustinus pathologisiert: Adams Sünde hat den Menschen nicht ein für alle Mal verdorben, sondern sie ist das schlechte Vorbild, dem der Mensch immer wieder verfällt. Rettung liegt im Ideal, das dem Menschen als Richtschnur gegeben wurde.
Im Grunde genommen ist Petersons fundamentale Annahme so simpel wie überraschungsarm: Es gibt eine Ordnung, zumal eine göttliche. Der Mensch hat sich in diese zu fügen, will er das volle Potential seiner Geschaffenheit entfalten und das Glück finden. Und wehe dem, der sich dieser Ordnung widersetzt oder wer sie entthronen will. Für sich genommen ist das die strenge, doch liebevolle Mutter, die gute Ratschläge erteilt. Dass dieses biedere Programm ausreicht, um eine Gesellschaft, für die Selbstwerdung ausschließlich Selbstverwirklichung und Selbstdefinition bedeutet, aufs Bitterste zu provozieren, sagt mehr über die herrschende Empörungsgesellschaft aus als über den schelmisch grinsenden Provokateur. Zumal dieser auch bereitwillig und bewusst Angriffsfläche bietet.
Denn Peterson beherrscht seine Muttersprache meisterhaft und gefällt sich in einem Sprachmanierismus, der auf den ersten Blick arrogant wirken könnte, durch seine Ironie und betont frankophile Variante des Englischen aber entwaffnend wirkt. Zumindest, solange man die englische Version liest. Denn die völlig unzureichende Übersetzung lässt von dieser Melange nur die Arroganz zurück. Wer kann, sollte Peterson also im Original lesen. Dann bleiben zwar noch immer die nicht zu leugnenden Längen. Dennoch lohnt es sich, das Ringen mit diesem Werk auf sich zu nehmen. Um falsche Vorurteile und festgefahrene Bilder abzulösen. Oder um einfach sehr schönes Englisch zu erleben.