BuchrezensionÜberraschende Vielfalt

Johann Hinrich Claussen führt durch die Geschichte der christlichen Kunst und bringt Gottes Bilder zum Sprechen.

Giottos „Himmelfahrt des Evangelisten Johannes“ (Bild: picture alliance / Bildagentur-online | UIG)
Giottos „Himmelfahrt des Evangelisten Johannes“ (Bild: picture alliance / Bildagentur-online | UIG)

In seinen Weltgeschichtlichen Betrachtungen sprach der Schweizer Kunsthistoriker Jacob Burckhardt „von der besonderen Bedingtheit der Religion durch Kunst und Poesie“ und stellte fest: „Beide haben ja von jeher in hohem Grade zum Ausdruck des Religiösen beigetragen. Allein jede Sache wird durch ihren Ausdruck irgendwie veräußerlicht und entweiht.“ Diese radikale Kritik an der Darstellung des Göttlichen sollte im Hinterkopf haben, wer sich mit einer Geschichte der christlichen Kunst befasst – ebenso wie das alttestamentliche Verbot, insbesondere des Buches Exodus, sich ein Gottesbild zu machen. Beides ist Johann Hinrich Claussen bewusst, der in seiner unlängst erschienenen Studie über Gottes Bilder eine Ausstellung in zwölf Sälen entwirft, die einen Bogen vom alten Israel bis in die Gegenwart spannt und dabei Bilder zur Sprache bringt, die Menschen sich vom Göttlichen machen.

Ja, zur Sprache bringt, „denn man versteht sie nicht, sie sprechen nicht zu einem, man erkennt nicht, was sie zeigen und sagen“, heißt es lakonisch am Einlass dieses virtuellen Museums der christlichen Kunst. Das ist eben die Crux mit vielen Kunstwerken, und erst recht mit solchen, die eine Bildsprache aus fernen Zeiten sprechen – und einen religiösen „Background“ haben, der in einer säkularen Gesellschaft vielen Menschen nicht zugänglich ist. Genau hier setzt Johann Hinrich Claussen an, der seit 2016 Kulturbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland ist und bereits Bücher über Gottes Häuser und Gottes Klänge veröffentlicht hat.

Nun also Gottes Bilder, wobei der Titel womöglich bewusst uneindeutig gehalten ist: Geht es ihm um Bilder, in denen Gott das Objekt des Künstlers ist und die also das Göttliche zum Thema haben – oder um solche, bei denen Gott das Subjekt ist? Im letzteren Fall wäre das Bild weniger ein Kunstwerk, dessen Betrachtung ästhetischen Gesichtspunkten folgt. Vielmehr wäre es Kultobjekt im Kontext einer kultischen Handlung. Johann Hinrich Claussen spricht diese Uneindeutigkeit des Buchtitels nie ausdrücklich an – aber gleich im ersten Kapitel („Bilder im antiken Israel – Verehrung und Verbot“) stellt er unter Rekurs auf die Entzauberung aller Götterbilder in Jesaja 44 fest: „Ein konsequenter Monotheismus ist mit der kultischen Verehrung einzelner Werke nicht vereinbar.“ Im Umkehrschluss bedeutet dies dann doch, dass jegliche kultische Verehrung von Gegenständen ein Abschweifen vom monotheistischen Gottesbild bedeutet – was eine eigene kirchengeschichtliche Untersuchung wert wäre.

Der Autor zielt aber in den folgenden Kapiteln auf die Darstellung des Göttlichen ab, die sich als Vermittlung versteht und nicht als kultischer Ritus. Zu Recht sieht er diesen Durchbruch letztlich erst in der florentinischen Renaissance bei Giotto (1267–1337): Dessen Bilder, beispielsweise in der Bardi-Kapelle von Santa Croce, seien „Erlösungsbilder, die die Ahnung eines reinen Lebens sichtbar machen, und darin Widerspiegelungen des Bildes Jesu Christi. Doch wollen sie anders als Ikonen nicht verehrt – oder gar angebetet – werden. Sie sind mehr eine Predigt als ein Kultgegenstand. Die Gläubigen sollen sie aufmerksam betrachten, ihre Bedeutung für das eigene Leben bedenken – und dabei auch genießen.“ Konsequenterweise folgt auf das siebte Kapitel über die Renaissance dasjenige über die Reformation, das mit Dürers vier apokalyptischen Reitern anhebt: Gäbe es einen fünften Reiter, so wäre dies der Bilderstürmer, spekuliert Claussen – wobei sicherlich die Frage interessant ist, ob nicht der Furor endzeitlicher Erregung, welcher sich mit Wut und Inbrunst auf die Bildwerke stürzte und sie vernichtete, lediglich einem Missverständnis geschuldet war – nämlich in den Bildern Kultobjekte zu sehen, wobei sie doch lediglich Darstellung oder Predigt waren.

Allerdings nicht einer Predigt, die fanatisch Gefolgschaft einfordert wie diejenige des Florentiner Bußpredigers Savonarola (1452–1498), den Claussen in Beziehung zu seinem Zeitgenossen Raffael setzt, diesem Verkünder einer Religion des Schönen. Dies sei für Raffael mehr als die zeitlich begrenzte körperliche Perfektion einer Mariendarstellung, die Savonarola so aufregte. „Wer die schöne Frau betrachtet“, so kommentiert der Autor Raffaels Madonna im Grünen, „blickt durch sie zum Göttlichen, und das Göttliche blickt durch sie auf diejenigen, die sie betrachten.“ In diesem Satz steckt wohl eine Auflösung der eingangs genannten Doppelbedeutung des interessanten Titels Gottes Bilder. Übrigens belässt es Claussen nicht bei einer Konfrontierung der beiden entgegengesetzten ästhetischen Vorstellungen eines Raffael und eines Savonarola: Mit Blick auf Matthias Grünewalds Isenheimer Altar thematisiert er in der gleichen Epoche „einen radikal anderen Heilsweg, als man ihn sich in Florenz vorstellte: Nur durch Schmerz und Scham, Blut und Tränen, Krankheit und Tod hindurch führt der Weg zur Erlösung von allem Leiden.“

Es ist diese vielfache Sichtweise auf „Gottes Bilder“, welche die Lektüre des Buchs so interessant macht und immer wieder auf Überraschendes verweist – wie beispielsweise darauf, dass eine der frühesten Christusdarstellungen ein Spottbild ist: nämlich das Alexamenos-Graffito aus dem frühen dritten Jahrhundert an der Wand einer antiken römischen Schule, auf dem der Gekreuzigte mit Eselskopf dargestellt wird. Auch wenn Claussens Deutung diskutabel ist („Das Graffito macht nicht bloß einen schnellen Witz auf Kosten eines Leichtgläubigen, sondern protestiert gegen die Autorität seiner Religion“), so zeigt er doch überzeugend, wie spät sich das Kreuz als Erkennungszeichen und zentrales Symbol der Christen durchgesetzt hat – nachdem man zunächst (und damit sind immerhin die ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderte gemeint) alle möglichem Motive der allgemein üblichen antiken Bilderwelt ausprobiert hatte.

Überraschend ist ebenfalls, dass zu den von Claussen ausgewählten Gottes-Bildern auch solche gehören, die einen fundamentalen Zweifel an den Heilsgewissheiten zum Ausdruck bringen – wie beispielsweise die Caprichos und vor allem die Pinturas negras Francisco Goyas. „Lässt sich eine radikale Skepsis nicht auch als eine religionsähnliche Position verstehen?“, fragt Claussen und ergänzt damit seinen Religionsbegriff aus dem „Zweiten Saal“ über die Christusbilder der Anfangszeit. Dort heißt es, dass es in der Religion immer um „Schutz, Trost, Heilung, Vertrauen, Vergewisserung, Freude, Dankbarkeit, Hoffnung, Gemeinschaft, Lebenskraft und spirituelle Macht“ gehe – Gottes Bilder spiegeln eben die ganze Bandbreite von tremendum und fascinosum wider, welche das religiöse Denken und Empfinden prägt und hervorbringt.

Überraschend und anregend sind schließlich die zahlreichen Hinweise auf und Deutungen von zeitgenössischen Kunstwerken, welche die Themen der „klassischen“ Vorbilder aufgreifen und neu kontextualisieren: beispielsweise die 2002 entstandene Video-Installation Emergence des amerikanischen Künstlers Bill Viola, die Claussen als „modernes Andachtsbild“ deutet; oder die Stufen Micha Ullmanns, die seit 2012 in der Berliner Matthäuskirche die Betrachter einladen, selbst zum Teil des Kunstwerks zu werden – als Verbindungsstück zwischen der Tiefe und der Höhe. Indem er zeigt, wie zeitgenössische christliche Kunst ganz selbstverständlich wieder Teil der Liturgie wird, lotet Johann Hinrich Claussen in seinem Buch über Gottes Bilder den spannungsreichen Raum zwischen Kultus und Kultur aus.

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